#1

1889 bis 1903

Ein Ober-Österreicher


Ich hasse niemanden, mit Ausnahme Hitlers, und das nur beruflich
Winston Churchill
zu seinem Privatsekretär John Colville




Ein Ober-Österreicher

Wer war Hitler: Kapitel #1, 1889 bis 1903

In der obersten Etage des Braunauer Gasthaus „Pommer“ bewohnt die Familie des Zollbeamten Alois Hitler eine kleine Wohnung. In der Osternacht des 20. April 1889, abends gegen halb sieben Uhr, wird dort Adolf Hitler geboren.

Hitlers Mutter ist zum Zeitpunkt der Geburt 28 Jahre alt, der Vater 51. Klara Pölzl ist mit Alois Hitler verwandt, sie ist eine Nichte zweiten Grades ihres Mannes. Um eine uneheliche Geburt zu vermeiden - Klara Pölzl ist damals schon im dritten Monat mit ihrem 1887 verstorbenen Sohn Gustav schwanger - hat der Linzer Bischof mit päpstlicher Zustimmung dem Paar 1885 die Heiratserlaubnis erteilt. Adolf Hitler ist das dritte von sechs Kindern des Ehepaares, von denen nur er und seine jüngere Schwester Paula das Kindesalter überleben.

Aus der ersten seiner drei Ehen bringt Alois Hitler zwei Kinder mit in die Ehe mit Klara Pölzl ein. Adolf Hitlers Halbgeschwister Alois jr. und Angela.

Die Abstammung von Hitlers Eltern aus Niederösterreich und seine insgesamt einundzwanzig in Oberösterreich und Wien verbrachten Lebensjahre machen Adolf Hitler jedoch nicht zu einem Österreicher. Eine wirkliche „österreichische Nation“ gibt es zur Zeit seiner Geburt nicht. Sie wird erst als Folge des Zerbrechens der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Jahr 1918 in „Rest-Österreich“ entstehen und sich nach dem von Hitler befohlenen Zweiten Weltkrieg als identitätsstiftend in der Republik Österreich etablieren. Vor dem 1. Weltkrieg ist die kaiserlich und königliche Monarchie vielmehr ein Vielvölkerstaat, der verschiedene Nationaltäten umfasst. Mit den schon in einem teilweise deutlich industrialisierten und geeinten Reich lebenden Deutschen in Preußen, Sachsen, Bayern und den Klein- und Mittelstaaten fühlt sich die Mehrheit der deutschsprachigen Österreicher historisch und kulturell verbunden. Hitlers Vater ist daher zwar Beamter eines „Vaterlandes“ Österreich-Ungarn, er und seine Familie empfinden sich aber als Oberösterreicher und damit als Deutsche.

In Hitlers drittem Lebensjahr wird der Vater versetzt und entscheidet sich, auf der deutschen Seite der Grenze, in Passau, eine Wohnung zu beziehen. Adolf Hitler wohnt bis 1895 drei Jahre lang mit seiner Familie in Bayern. Dort erwirbt er auch das Idiom seiner Aussprache. Adolf Hitlers Deutsch klingt zeitlebens niederbayerisch. Einen österreichischen Akzent besaß er nicht.

In Hafeld im oberösterreichischen Hausruckviertel pachtet Alois Hitler nach seiner frühzeitigen Pensionierung im Jahr 1895 ein kleines Gut, das er mit etwas Landwirtschaft und Bienenzucht zu bewirtschaften versucht. In der einklassigen Volksschule des benachbarten Fischlham wird Adolf Hitler am 1. Mai 1895 eingeschult. Während der ersten beiden Jahre bekommt er gute Noten für seine Leistungen und im Betragen.

Im Juni 1897 verkauft Hitlers Vater den Besitz in Hafeld. Die Familie wohnt vorübergehend im Marktflecken Lambach, wo sie Anfang 1898 noch einmal die Wohnung wechselt. Hitler besucht bis Ende 1898 die Volksschule in Lambach, in der er die zweite Klasse wiederholt, da die Dorfschule in Fischlham zu wenig Lernstoff vermittelt hat.

Ende 1898 zieht der neunjährige Adolf Hitler mit seinen Eltern, seiner Schwester Paula, seinem Halbruder Alois und seiner Halbschwester Angela (beide aus der ersten Ehe des Vaters) in die Gemeinde Leonding bei Linz. Dort verbringt Adolf Hitler rund acht Jahre seines Lebens, beendet die dritte und besucht die vierte und fünfte Klasse der Volksschule. Nach fünfeinhalb Volksschuljahren tritt er im September 1900 elfjährig in die erste Klasse der kaiserlich-königlichen Staatsoberrealschule im nahen Linz ein.

Alois Hitler stirbt am 3. Januar 1903 im Alter von 65 Jahren in Leonding.

#2

1903 bis 1913

Ein Tunichtgut


Er ist doch aus der Art gefallen.
Klara Hitler
über ihren Sohn




Ein Tunichtgut

Wer war Hitler: Kapitel #2, 1903 bis 1913

Adolf Hitler sieht in Linz seine Heimatstadt. Seine Linzer Jugendjahre bezeichnet Hitler stets als die glücklichsten Jahre seines Lebens. Seit dem Herbst 1900 besucht er dort die Realschule in der Linzer Steingasse, in der er die Eingangsklasse wegen schlechter Leistungen wiederholen muss. Den Schulweg legt er vom Wohnort Leonding zu Fuß zurück.

Nach dem Tod ihres Mannes muss die Beamtenwitwe Klara Hitler im Jahr 1904 ihren Sohn Adolf, bei dem wegen schlechter Leistungen erneut die Wiederholung einer Klasse ansteht, an die Staats-Realschule in das vierzig Kilometer entfernte Steyr schicken. Hier lebt Adolf Hitler „in Pension“. Er kehrt nur an den Wochenenden zur Familie zurück.

Im Jahr 1905 zieht Klara Hitler mit ihrer Stieftochter Angela, dem Sohn Adolf und der zwölfjährigen Tochter Paula von Leonding nach Linz, wo sie zunächst in der Humboldtstraße, später in der Hauptstraße und Blütenstraße in Urfahr zur Miete wohnen.

Adolf Hitler verlässt die Steyrer Schule nach insgesamt zehneinhalb Schuljahren ohne Abschluss, um die nächsten drei Jahre als Flaneur und Nichtstuer in Linz von der Rente seiner Mutter zu leben. 1907 überredet Hitler seine Mutter, ihm eine Reise nach Wien zu gestatten. Er will sich dort um die Aufnahme für die „Allgemeine Malerklasse“ der Akademie der Bildenden Künste bewerben. Hitler übersteht zwar die erste Sichtungsrunde, wird aber nach dem zweiten Prüfungsabschnitt abgelehnt. Als er nach acht Wochen, enttäuscht über die Ablehnung, zu seiner Linzer Familie zurückkehrt, ist Klara Hitler schwer erkrankt. Sie leidet an einer „Geschwulst“, heute würde man Krebs diagnostizieren. Adolf Hitler übernimmt für viele Monate hingebungsvoll die häusliche Pflege der Mutter. Klara Hitler stirbt in der Nacht zum 21. Dezember 1907 im Kreis ihrer Familie.

Im Frühjahr 1908 beginnt der 19-jährige Adolf Hitler in Wien eine ungebundene Existenz. Er lebt in den Tag hinein und hat nur wenige Mittel durch die gewährte Waisenrente – eine Zeit, die er später zu einer „Universität des Lebens“ im Daseinskampf stilisieren wird.

In Wien hinterlässt Hitler bis zum Februar 1910 wenige Spuren. Bei seiner Meldung in der Wiener Felberstraße am 18. November 1908 bezeichnet er sich als „Student“, obwohl er auch bei einem zweiten Versuch, an der Kunstakademie aufgenommen zu werden, scheitert. Als er sich am 22. August 1909 in der Sechshauserstraße anmeldet, ist er „Schriftsteller“. Hitler wird auch gehungert und Wärmehallen aufgesucht haben. Vom 16. September 1909 bis zum 8. Februar 1910 ist er offenbar ohne festen Wohnsitz.

Hitler beginnt mit dem Zeichnen von Wiener Stadtansichten nach Buchvorlagen, die er als Postkarten verkauft, um seine Waisenrente aufzubessern. Am 26. Juni 1910 zieht er in die „Kleinwohnungsanlage für Ledige“ in der Meldemannstraße im Stadtteil Brigittenau und meldet sich als „Kunstmaler“ an. Hier lebt er drei Jahre. Im Männerheim verkehrt er auch mit jüdischen Bewohnern.

Hitlers Anteil am väterlichen Erbe wird am 20. April 1913, seinem 24. Geburtstag, fällig. Im Wohnheim hat Hitler Rudolf Häusler kennengelernt. Zusammen mit ihm will er ins „deutsche“ München ziehen. Ein Grund für das Verlassen der österreichischen Heimat ist, dass er sich nicht pflichtgemäß zur Ableistung des Wehrdienstes gemeldet hat und sich der Ableistung im ungeliebten Österreich-Ungarn entziehen will. Am 25. Mai 1913 verlässt Adolf Hitler in Begleitung Rudolf Häuslers Wien. Adolf Hitler und Rudolf Häusler beziehen in München beim Schneidermeister Popp in der Schleißheimer Straße 34 nahe Schwabings gemeinsam ein Zimmer zur Untermiete. München wird fortan Hitlers Lebensmittelpunkt. Sein Erbe hilft ihm beim Aufbau einer zwar isolierten und prekären, aber auskömmlichen Existenz am Rande der Gesellschaft.

#3

1914 bis 1918

Ein Gefreiter


Hitler war mutig und widerstand Belastungen gut, selbst dann war er ein leidenschaftlicher Befürworter des Krieges.
Max Amann
Feldwebel beim Regimentsstab des List-Regiments, Leiter der NSDAP-Verlage




Ein Gefreiter

Wer war Hitler: Kapitel #3, 1914 bis 1918

Der Erste Weltkrieg beginnt am 1. August 1914. Am 2. August 1914, dem Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, kommt es auf dem Münchener Odeonsplatz vor der Feldherrnhalle zu einer patriotischen Großdemonstration. Der Fotograf Heinrich Hoffmann fotografiert die Kundgebung. Jahre später entdeckt Hoffmann, später Reichsbildberichterstatter, in einer starken Vergrößerung des Bildes in der Menschenmenge ein Gesicht, das vermutlich Adolf Hitler zeigt.

Hitler meldet sich drei Tage nach der Kundgebung, am 5. August 1914, als Kriegsfreiwilliger. Am 16. August wird er dem Ersatzbataillon des 2. Infanterie-Regiments zugewiesen, aus dem das 16. Bayerische Reserve Infanterie Regiment hervorgeht, dem Hitler den gesamten Weltkrieg über angehört. Das Ersatzbataillon ist in der zur Kaserne umfunktionierten Elisabethenschule untergebracht. Hier wird Hitler felddienstmäßig eingekleidet und ausgerüstet; eine kurze militärische Grundausbildung schließt sich an. Adolf Hitler trägt zum ersten Mal in seinem Leben eine Uniform. Am 21. Oktober 1914 verlässt Hitler mit seinen Regimentskameraden in den frühen Morgenstunden den Münchner Bahnhof in Richtung Westen. Am Morgen des 23. Oktober passiert ihr Zug die belgische Grenze und erreicht am Abend das nordfranzösische Lille. Am 29. Oktober steht Hitlers Bataillon an der Straße nach Menin bei Ypern erstmals im Kampf.

Kurz nach dem ersten Kampfeinsatz des List-Regiments wird Hitler am 3. November 1914 zum Gefreiten befördert. Weitere Beförderungen wird er im Verlauf des Krieges ablehnen; sie hätten die Abkommandierung zu anderen Einheiten bedeutet und Hitler hätte die kameradschaftliche Geborgenheit des Regiments verloren. Die Westfront erstarrt im Spätherbst 1914 für vier Jahre vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze zu einem Stellungskrieg. Bis zur zweiten Jahreshälfte 1917 ändert sich am Frontverlauf kaum etwas. Hätte Hitler die restlichen vier Kriegsjahre im Schützengraben verbracht, wäre seine Überlebenswahrscheinlichkeit gering gewesen. Am 9. November 1914 wird er erstmals als Meldegänger eingesetzt und dem Regimentsstab zugeteilt. Der befindet sich ca. drei Kilometer hinter den Schützengräben.

Hitler wird im Ersten Weltkrieg zweimal verwundet: Am 5. Oktober 1916 trifft ihn bei einem Artilleriebeschuss des Regimentstandes durch britische Artillerie in der Somme-Schlacht ein Granatsplitter am linken Oberschenkel. Er wird zunächst in einem Feldlazarett behandelt, vier Tage später wird er ins Rotkreuzlazarett nach Beelitz südlich von Berlin eingeliefert. Als er wieder einigermaßen gehen kann, erhält der Genesene am 4. November 1916 die Erlaubnis, Berlin zu besuchen. Zum ersten Mal ist Hitler in der Reichshauptstadt.

Zum 1. März 1917 wird der gesundete Gefreite Hitler zu seiner Stammeinheit befohlen und ist wieder als Melder im Regimentsstab tätig. In den folgenden Monaten bis zu seiner Gasvergiftung nimmt er an den meisten Kampfhandlungen seines Regiments an der Somme, an der Aisne und an der Marne teil.

Am 4. August 1918 empfängt er das Eiserne Kreuz I. Klasse. Die Verleihung des Eisernen Kreuz I. Klasse an einen Soldaten unterhalb des Unteroffiziersrangs kommt in den Armeen des Kaiserreichs ausgesprochen selten vor. Die einzigen beiden militärischen Auszeichnungen, die Hitler im Dritten Reich trug, sind das Eiserne Kreuz und sein Verwundetenabzeichen aus dem Ersten Weltkrieg.

Mitte Oktober 1918 kehrt Adolf Hitler nach einem Urlaub in Berlin zu seinem Regiment zurück. Am Tag nach seiner Rückkehr zwingt ein britischer Angriff das Regiment, seine Stellungen aufzugeben. In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober endet Hitlers Kriegseinsatz im schweren britischen Trommelfeuer mit einer Gasvergiftung. Nach einer Erstbehandlung im Feldlazarett in Flandern wird er am 21. Oktober 1918 ins Preußische Reserve-Lazarett in Pasewalk bei Stettin in Pommern transportiert. In Pasewalk verbleibt Hitler 28 Tage – Tage, in denen sich die Welt verändert.

#4

1918 bis 1922

Ein Volksredner


Er war eines dieser immer unerklärlichen geschichtlichen Naturereignisse, die in der Menschheit in großen Zeitabständen auftreten.
Albert Speer
„Die Kransberg-Protokolle“




Ein Volksredner

Wer war Hitler: Kapitel #4, 1918 bis 1922

Noch bevor die revolutionären Unruhen Berlin erreichen, beginnt am 7. November 1918 in München die Revolution. Am folgenden Tag bildet sich unter Führung des Journalisten und Schriftstellers Kurt Eisner, eines „unabhängigen“ Sozialdemokraten, ein Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat, der in München die Republik ausruft. Am 21. November 1918 kehrt Adolf Hitler aus Pasewalk nach München zurück. Hitler versucht der Demobilisierung zu entgehen und bleibt Soldat.

Am 12. Februar 1919 wird Adolf Hitler in die sogenannte 2. Demobilmachungskompanie versetzt. Am 15. Februar lässt er sich zu einem der stellvertretenden Kasernenräte seines Regiments wählen, wird also ein Funktionär am unteren Ende der Hierarchie der von der extremen Linken geführten Republik. Adolf Hitler legt im Mai 1919 sein Amt als Vertrauensmann des Kasernenrats nieder. Er bezieht jetzt nachweislich Position und leugnet seine zumindest indifferente Haltung der Vormonate.

Mit der Revolution gibt es keine bayerische Armee mehr. Aus den Armeen der Königreiche Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg ist die „Reichswehr“ entstanden. Die Reste der bayerischen Reichswehr werden zu einem Sammelbecken reaktionärer, antirepublikanischer Kräfte. Um „Aufklärungsarbeit“ unter den Soldaten zu leisten, beginnt die Unterabteilung „Propaganda Ib/P“ des bayerischen Reichswehrgruppenkommandos 4 im Mai 1919 mit der Truppenbetreuung von Mannschaftsdienstgraden und Offizieren, ihrer Schulung in nachrichtendienstlichen Aufgaben, vor allem aber in antibolschewistischer Rhetorik und Propaganda. Ihr Leiter ist Hauptmann Karl Mayr, dem Hitler im Mai 1919 erstmals begegnet. Mayr ist es, der den Anstoß zu Hitlers politischer Betätigung gibt. Der Reichswehrhauptmann Karl Mayr beobachtet seinen Untergebenen Hitler und entdeckt dessen agitatorische Fähigkeiten. Adolf Hitlers Eintritt in die Politik geschieht damit im Sommer und Herbst 1919 in München.

Reichswehrhauptmann Karl Mayr finanziert auch Publikationen, Organisationen und „patriotische“ Parteien. Eine dieser Parteien ist die „Deutsche Arbeiterpartei“. Die DAP wird am 5. Januar 1919 vor allem von einer Gruppe von Eisenbahn-Arbeitern gegründet. Am 12. September 1919 wird der mittlerweile aus der Armee entlassene Hitler von Mayr zum Ausspähen zu dieser nationalistischen Splittergruppe geschickt. In der zweiten Septemberhälfte 1919 ist Hitler Mitglied der „Deutschen Arbeiterpartei“ und nimmt nun regelmäßig an ihren Sitzungen teil. In der Partei konzentriert sich Hitler zunächst ausschließlich auf Propaganda. Am 16. Oktober 1919 hält er vor einem größeren Publikum eine effektvolle Ansprache, auf der seine Redegabe erstmals öffentlich wird. Am 24. Februar 1920 tritt er im Hofbräuhaus erstmals vor mehr als tausend Zuhörern auf und verkündet auf dieser Versammlung auch das 25-Punkte-Programm der Partei, das formal ein Vierteljahrhundert, bis zum Untergang der NSDAP, gilt. Zu dieser Zeit vollzieht sich zugleich die Umbenennung von Deutsche Arbeiterpartei in „Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“.

Der Architekturmaler Hitler entwirft früh eine Parteifahne in den alten Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot, deren Mittelpunkt das Hakenkreuz bildet – ein beliebtes Symbol in völkischen Kreisen. In dieser Zeit bildet sich um Hitler ein Kreis treuer Anhänger, die seinen Lebensalltag teilen und die ihn fast 25 Jahre begleiten werden.

Am 3. Februar 1921 hält die NSDAP zum ersten Mal eine Kundgebung im Münchener Zirkus Krone ab. Über 6.000 Menschen kommen zusammen, um Hitler sprechen zu hören.

Am 16. August 1922 spricht Hitler neben anderen Anführern der nationalistischen Vereinigungen bei einer großen Protestkundgebung der Vereinigten Vaterländischen Verbände Bayerns auf dem Königsplatz in München. Während der Kundgebung tritt die SA erstmals als paramilitärische Formation mit eigener Fahne öffentlich in Erscheinung.

#5

1922 bis 1923

Ein Revolutionär


Hitler: das ist der Mob, der Nietzsche gelesen hat. Das ist Mussolenin im Ausverkauf.
Alfred Kerr
Deutsch-jüdischer Theaterkritiker




Ein Revolutionär

Wer war Hitler: Kapitel #5, 1922 bis 1923

Der frühe Politiker Hitler lehnt die Beteiligung an Parlamentswahlen ab, da er befürchtet, seine Bewegung würde ihren zur Schau gestellten revolutionären Charakter einbüßen und über eine Machtteilhabe nach und nach in das parlamentarische System eingebunden werden. Eine „Revolution“ stellt sich Hitler lange als einen gewaltsamen Umsturz vor, in dem die alten Machthaber mit Gewalt beseitigt werden. Am 9. November 1923 versucht er einen solchen Putsch. Dieser soll den Umsturz in Italien kopieren, der 1922 durch Mussolinis „Marsch auf Rom“ die Faschisten an die Macht gebracht hat.

Im Herbst 1923 herrscht im Deutschen Reich eine Hyperinflation, das Geld ist faktisch wertlos. In Sachsen und Thüringen bilden sich im Oktober „proletarische Arbeiterregierungen“. Im ebenfalls unruhigen Bayern ist seit dem 26. September dagegen der konservative und republikfeindliche Gustav Ritter von Kahr als Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten an der Macht. Er hat sich die in Bayern stationierten Einheiten der Reichswehr unterstellt und geht auf einen scharf rechtsgerichteten Konfrontationskurs zur demokratischen Reichsregierung.

Als Hitler erkennt, dass er mit seiner Partei von den Kräften um von Kahr ausgeschlossen und ins politische Abseits gestellt werden soll, ruft er am Abend des 8. November 1923 die „nationale Revolution“ aus und erklärt die bayerische sowie die Reichsregierung in Berlin für abgesetzt. Der Putsch soll München und Bayern in die Hand der Aufständischen bringen und dann nach dem Vorbild Italiens mit einem „Marsch auf Berlin“ das demokratische System stürzen. Die Putschisten überschätzen aus ihrer engen Münchener Perspektive die eigene Stärke. Sie rechnen mit einem Überlaufen der Reichswehrtruppen in Bayern und der bayrischen Polizei. Dies geschieht jedoch nicht. Ein einziger größerer Erfolg gelingt den Putschisten mit der Einnahme des Wehrkreiskommandos unter der Führung von Ernst Röhm. In seinem Gefolge marschiert ein junger Mann mit Nickelbrille – der 23-jährige Heinrich Himmler, ein arbeitsloser Diplom-Landwirt.

Hitlers dilettantisch durchgeführter Putschversuch bleibt isoliert. Am Morgen des 10. November ziehen zwar 2.000 teilweise schwer bewaffnete Putschisten vom Bürgerbräukeller über die Innenstadt zur Ludwigstraße vor dem Odeonsplatz. Der Marsch endet aber an der Feldherrenhalle im Feuer der Polizei. Hitler flieht leicht verletzt ins Münchener Umland in das Haus der Familie Hanfstaengl, wo er am 11. November festgenommen wird.

#6

1923 bis 1924

Ein Ideologe


Der spätere ‚Führer‘ sammelt die Kippen aller politischen Theorien und raucht die Reste zu Ende. In den Enden steckt das meiste Gift.
Peter Sloterdijk
„Zeilen und Tage - Notizen 2008 bis 2011“




Ein Ideologe

Wer war Hitler: Kapitel #6, 1923 bis 1924

Am 12. November 1923 liefern 39 Wachmänner Adolf Hitler in das Festungsgefängnis in Landsberg ein. Er erhält die Zelle Nr. 7. Die NSDAP ist nach dem Putschversuch reichsweit verboten und wird aufgelöst.

Der Hochverratsprozess gegen die führenden Putschisten beginnt am 26. Februar 1924 im Hauptlesesaal der Zentralen Infanterieschule in München. Unter den zehn Angeklagten befinden sich neben Adolf Hitler und Erich Ludendorff die Nationalsozialisten Ernst Röhm, Wilhelm Frick, Wilhelm Brückner und Friedrich Weber. 25 Tage nehmen Zeugenaussagen und Befragungen in Anspruch. Am 27. März 1924 geben die Angeklagten abschließende Erklärungen ab und am 1. April 1924 wird das Urteil verkündet. Mit Ausnahme von Ludendorff werden alle Angeklagten für schuldig befunden. Adolf Hitler wird lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft nebst Geldbuße von 200 Goldmark verurteilt. Die verhängte Festungshaft war eine besondere Form der Freiheitsstrafe. Festungshäftlingen billigte man eine ehrenhafte Gesinnung zu. Die Festungshaft wurde daher auch als Ehrenhaft bezeichnet und beinhaltete insbesondere keinen Arbeitszwang. Als Freiheitsstrafe stand sie neben Zuchthaus und Gefängnis und wurde vorwiegend gegen Angehörige höherer Stände, bei politischen Straftaten oder gegen Duellanten verhängt.

In der Haft hat Hitler Ruhe, über seine politischen Ziele nachzudenken. In seinem etwa dreizehn Monate währenden Aufenthalt in der Festung Landsberg beginnt Adolf Hitler die Niederschrift seines programmatischen Buches "Mein Kampf", das seinen angeblichen Lebensweg und Werdegang zum Politiker darstellt und seine Weltanschauung wiedergibt.

Adolf Hitler wird am 20. Dezember 1924 um 12.15 Uhr aus der Haft entlassen. Die Reststrafe von „3 Jahren, 333 Tagen, 21 Stunden und 50 Minuten“, so der amtliche Vermerk, wird ihm wegen guter Führung erlassen.

Bei der Entlassung verfügt er über ein Buchmanuskript, das weit über sein Konzept hinausgegangen und in Teilen bereits druckfertig ist. Nach der Entlassung schließt Hitler Mein Kampf ab, indem er einen zweiten Band verfasst. Hierzu zieht er sich auch schon auf den Obersalzberg in die Pension „Moritz“ des Ehepaars Büchner zurück, den späteren Platterhof.

Unter Hitlers Anhängern etabliert sich "Mein Kampf" nach dessen Veröffentlichung schnell als bedeutsames politisches Manifest. Es wird von NSDAP-Funktionären und Propagandisten als eine Art „Parteibibel“ gelesen.

#7

1925 bis 1929

Ein Parteiführer


Ich glaube, mein Leben ist der größte Roman der Weltgeschichte!
Adolf Hitler
an Adelheid Klein




Ein Parteiführer

Wer war Hitler: Kapitel #7, 1925 bis 1929

Am 23. November 1923 war ein reichsweites Verbot gegen die NSDAP ergangen. Das gesamte Parteivermögen war konfisziert, die Geschäftsstelle in München geschlossen, die Parteizeitung "Völkischer Beobachter" verboten worden. Indem er sich jeder politischen Einflussnahme enthielt, hatte Hitler während seiner Haft die Partei vorsätzlich zerfallen lassen, damit keine Rivalen in die verwaiste Spitzenposition aufsteigen konnten. Am 26. Februar 1925 erscheint erstmals wieder die Parteizeitung. Einen Tag später, am 27. Februar 1925, gründet Hitler die NSDAP im Bürgerbräukeller neu.

Im ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 29. März 1925 kandidiert Erich Ludendorff, der mit Hitler am Putsch vom 9. November 1923 teilgenommen hat, für ein Bündnis der neu gegründeten NSDAP mit anderen völkischen Gruppierungen. Er erhält nur 1,1 Prozent der Stimmen. Als im zweiten Wahlgang Paul von Hindenburg für die Parteien auf der Rechten antritt, weist Adolf Hitler seine Partei an, die Kandidatur des 77-jährigen Generalfeldmarschalls zu unterstützen. Paul von Hindenburg wird mit einer relativen Mehrheit vor dem gemeinsamen Kandidaten der Sozialdemokratie, des katholischen Zentrums und der linksliberalen DDP gewählt. Hitler hat sich damit zugleich geschickt des Konkurrenten Ludendorffs entledigt, der sich nach dieser Niederlage aus der Parteipolitik zurückzog.

In Deutschland erholt sich die Wirtschaft ab 1924, es folgen die fünf „goldenen Jahre“ der Weimarer Republik. Bei der Reichstagwahl vom 20. Mai 1928 gewinnen SPD und KPD Stimmen auf Kosten der bürgerlichen Parteien und haben mehr als 40 Prozent der Wähler hinter sich. Die NSDAP erreicht nur 2,6% der Stimmen und erhält 12 Mandate.

Hitler ist ab dem Sommer 1925 der unumstrittene alleinige Führer des völkisch-nationalen Lagers. Er organisiert die NSDAP völlig neu und richtet sie kompromisslos auf seine Person aus. Die zwischen 1925 und 1929 nur langsam wachsende Bewegung sticht vor allem durch ihre von Aktivismus, Dynamik, Elan, Jugendlichkeit und Kraft geprägte Außendarstellung hervor. Knapp 60 Prozent der in dieser Zeit neu in die Partei eintretenden Mitglieder sind unter dreißig Jahre alt.

Ungeachtet der fehlenden politischen Erfolge inszeniert sich die Partei bei den sogenannten Reichsparteitagen; ein Spektakel, das ab 1923 zunächst in München und Weimar, ab 1927 nur noch in Nürnberg stattfindet.

Am Aufstieg Hitlers in den Jahren nach 1928 haben seine Gegner auf der Linken großen Anteil. Hatte die SPD bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Februar 1919 noch fast 38 Prozent der Stimmen erhalten, erringt sie in den nächsten acht Wahlen nie mehr 30 Prozent. Die Politik der Sozialdemokratie, seit der Rückkehr des rechten Flügels der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei im September 1922 organisatorisch gestärkt, erscheint selbst vielen jungen Mitgliedern bürokratisch erstarrt und verblendet von der scheinbaren Stärke der eigenen Organisation. Auf der äußeren Linken etablieren sich die Kommunisten als eine aufstrebende Kraft, sind aber lange in Richtungskämpfen geschwächt und auf die Moskauer Parteilinie festgelegt. Zu Kompromissen mit der SPD, der die älteren KPD-Mitglieder noch ein Jahrzehnt zuvor angehört haben, sind die Kommunisten in Verkennung der eigenen Stärke und der drohenden Gefahren von rechts nicht bereit. Sie verfolgen eher ein Konzept der Totalverweigerung, um die Unregierbarkeit und damit den Umsturz, die Revolution wie 1918 in Russland herbeizuführen.

In den Jahren zwischen 1920 und 1932 pendeln sich die Wahlergebnisse der verfeindeten Arbeiterparteien SPD und KPD bei sieben Reichstagswahlen zusammen genommen zwischen 37 und 39 Prozent ein, wobei die Kommunisten ab 1928 immer stärker werden.

Die fortschreitende Zersplitterung des Parteienspektrums begünstigt den Aufstieg der NSDAP. Bei den Wahlen kann sie nach und nach die Wählerschaft der vielen Splitter- und Protestparteien zu sich herüberziehen und bei den Landtags- und Kommunalwahlen im Frühjahr und Sommer 1929 schon deutliche Zuwächse verbuchen.

#8

1929 bis 1932

Ein Wahlkämpfer


Eine gewisse Verwandtschaft zwischen Hitler und dem deutschen Volke lässt sich nicht abstreiten.
Robert Coulondre
„Erinnerungen des Französischen Botschafters“




Ein Wahlkämpfer

Wer war Hitler: Kapitel #8, 1929 bis 1932

Im Februar 1930 hat die NSDAP - bei etwas niedrigeren tatsächlichen Zahlen - offiziell 200.000 Mitglieder, die Sozialdemokratie zu diesem Zeitpunkt noch immer über eine Million. Das Durchschnittsalter der NSDAP-Mitglieder liegt unter dreißig Jahren – lediglich die KPD hat eine jüngere Gefolgschaft. Die NSDAP finanziert, bevor sie an die Macht kommt, ihre Arbeit überwiegend durch Mitgliedsbeiträge. Für Parteiveranstaltungen wird ein Eintrittsgeld erhoben. Schon zu dieser Zeit prophezeit Hitler, dass die NS-Bewegung binnen zweieinhalb bis drei Jahren an die Macht kommen werde. Im März 1930 drängt Hitler den besonders in Norddeutschland starken linksorientierten „nationalrevolutionären Flügel“ der Partei um Otto Strasser, der unter anderem die Verstaatlichung von Industrie und Banken fordert, aus der NSDAP heraus.

Die Reichstagswahlen 1928 hatte noch die SPD gewonnen. Sie führte seitdem eine Koalitionsregierung mit den bürgerlichen Parteien. Die zerbricht ein Jahr nach dem Tod des nationalliberalen Außenministers Gustav Stresemann im März 1930 an unüberbrückbaren sozialpolitischen Gegensätzen zwischen arbeitnehmerfreundlicher SPD und industriefreundlicher DVP, der Partei Stresemanns. Der Sturz des SPD-Reichskanzlers Hermann Müller und die Ernennung des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning sind die ersten Schritte auf dem Weg zur Selbstaufgabe der Weimarer Republik durch ihre Gründerparteien.

Die Schwierigkeiten einer demokratischen Mehrheitsbildung nach dem Rücktritt der Regierung Müller sind für Reichspräsident Hindenburg Anlass zur Einsetzung eines vom Parlament unabhängigen rechtskonservativen Präsidialkabinetts, das allein das Vertrauen des Staatsoberhaupts besitzt.

Ende März 1930 wird der Finanzexperte und Fraktionsvorsitzende des Zentrums, Heinrich Brüning, von Reichspräsident von Hindenburg zum neuen Reichskanzler ernannt. Brüning überredet den Reichspräsidenten, den Reichstag aufzulösen und mehr als 24 Monate vor dem regulären Wahltermin eine Neuwahl anzusetzen. Die Voraussetzungen für Stimmengewinne der NSDAP sind günstig wie nie. Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Depression und politische Unzufriedenheit haben die kurze Ära der Zuversicht in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre abgelöst.

Hitlers Partei führt im Spätsommer und Frühherbst 1930 einen dreimonatigen Wahlkampf mit einer bis dahin in Europa noch nicht dagewesenen propagandistischen Materialschlacht. Bei der Reichstagswahl am 14. September 1930, an der sich 82 Prozent der Wähler beteiligen, steigert die NSDAP ihre Mandatszahl von 12 auf 107 Sitze. Die NSDAP erzielt 18,3 Prozent der Stimmen. Damit ist ihr der Durchbruch gelungen. Am Tag nach der Wahl haben sich die politische Konstellation und das Klima in Deutschland grundlegend gewandelt. Die NSDAP ist von einer bayerischen Politsekte zur zweitgrößten Partei aufgestiegen. Sie steht in fundamentaler Opposition zur Weimarer Demokratie.

Adolf Hitler beschließt am 2. Februar 1932 nach einer internen Besprechung in München in der Parteizentrale „Braunes Haus“, für den ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl im März 1932 zu kandidieren. Am 22. Februar gibt Joseph Goebbels die Kandidatur bei einer Kundgebung im Berliner Sportpalast bekannt.

An ihrer Politik der Tolerierung der Präsidialkabinetts Brüning halten die Sozialdemokraten auch während der Reichspräsidentenwahl 1932 fest, die nach Ablauf der siebenjährigen Amtsperiode Hindenburgs am 13. März 1932 ansteht. Im Februar ruft die SPD ihre Mitglieder auf, bei der Reichspräsidentenwahl für Paul von Hindenburg zu stimmen, um so einen Wahlsieg Hitlers zu verhindern. Beim ersten Wahlgang am 13. März 1933 kann keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Der amtierende Reichspräsident Hindenburg erhält 49,6 Prozent, Hitler 30,1 Prozent und der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann 4,98 Prozent der Stimmen. Da Hindenburg die absolute Mehrheit verfehlt hat, ist ein weiterer Wahlgang nötig. Im zweiten Wahlgang am 10. April erhält Hindenburg 53 Prozent der Stimmen und bleibt damit Reichspräsident. Hitler kommt auf 36,8 Prozent, Thälmann auf 10,2 Prozent der Stimmen.

Im Juni 1932 beendet die SPD ihre Tolerierungspolitik im Reichstag, nachdem Brüning von Hindenburg entlassen worden ist und die Reichskanzlerschaft auf den Franz von Papen übergeht. Um sich eine Rückendeckung und eine längerfristige Tolerierung seiner Regierung zu sichern, will von Papen die NSDAP in die Präsidialdiktatur einbinden. Um mit Hitler ins Gespräch zu kommen, beugt sich von Papen der Forderung Hitlers nach einer Reichstagneuwahl durch Auflösung des Parlaments. Reichskanzler von Papen ist erst vier Tage im Amt, als auf seinen Rat hin von Hindenburg Neuwahlen ansetzt.

Bei der Reichstagswahl wird die NSDAP mit 37,4 Prozent stärkste Fraktion vor der SPD mit 21,6 Prozent. Der spätere Bündnispartner der NSDAP, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), erhält 5,9 Prozent der Stimmen. Zugenommen hat auch der Stimmenanteil der Kommunisten, auf die 14,3 Prozent entfallen. Die Wahl ist vor allem eine Niederlage der parlamentarischen Demokratie. Fast 60 Prozent der Wähler entscheiden sich für undemokratische Parteien.

Hitler fordert für sich das Amt des Reichskanzlers. Als überragender Sieger der Wahl verlangt er kompromisslos die volle politische Macht. Die verweigert ihm Hindenburg im Sommer 1932 noch.

Das von von Hindenburg gestützte Kabinett von Papen verfügt über keinen politischen Rückhalt im Reichstag. Noch am Tag der Parlamentseröffnung spricht ihr die Majorität der Reichstagsabgeordneten das Misstrauen aus. Mit einer Order Hindenburgs wird der eben gewählte Reichstag wieder aufgelöst und von Hindenburg setzt Neuwahlen für den 6. November 1932 an. Bei dem Votum vom 6. November büßt die NSDAP mehr als zwei Millionen Wähler ein. Bei den Landtagswahlen in Thüringen einen Monat später verliert die NSDAP sogar 40 Prozent ihrer Stimmen.

Hitler wird die Kanzlerschaft damit nicht nach einem Wahlsieg, sondern nach deutlichen Stimmenverlusten bei der Reichstagswahl im November angetragen werden. Er braucht dafür die Hilfe von reaktionären Verbündeten in hohen Positionen, die glauben, mit Hilfe von Hitler Kommunisten und Sozialdemokraten endgültig ausschalten zu können. Diesen Kräften gelingt es innerhalb weniger Wochen im Dezember 1932 und im Januar 1933, den Reichspräsidenten umzustimmen und Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.

#9

1933 bis 1934

Ein Mörder


Deutschland wurde zwölf Jahre lang von Irren beherrscht, die ihre Wärter eingesperrt hatten.
Hans Habe, österreichisch-US-amerikanischer Publizist,
„Erfahrungen“




Ein Mörder

Wer war Hitler: Kapitel #9, 1933 bis 1934

Adolf Hitler beginnt nach seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 umgehend, eine von jeder Kontrolle durch den Reichstag befreite Regierung zu etablieren. Wie zuvor auch schon in Landesregierungen, in die Nationalsozialisten eingezogen waren, bemächtigen sich seine Gefolgsleute des Polizeiapparats. In Hitlers Kabinett der „nationalen Konzentration“ tritt Wilhelm Frick, der schon am Hitler-Putsch beteiligt war, als Reichsinnenminister ein, Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Göring erhält zudem mit dem „Reichskommissariat für das preußische Innenministerium“ die Kontrolle über die preußische Polizei. Er entlässt 22 der 32 Polizeipräsidenten und besetzt deren Positionen mit Nationalsozialisten. Er verstärkt die Polizei durch 50.000 Angehörige der SA, der SS und des Stahlhelms als „Hilfspolizisten“.

Nach der Wahl im März wird Heinrich Himmler Polizeipräsident in München und beginnt schon in dieser Funktion mit dem Aufbau des Konzentrationslagers Dachau. Am 1. April, nach der Absetzung der bayerischen Regierung durch die Reichsregierung, übernimmt Himmler das Amt des Politischen Polizeikommandeurs in Bayern. Der Prozess der Verschmelzung von SS und Polizei setzt zwei Monate nach dem Beginn von Hitlers Kanzlerschaft ein.

Am 27. Februar 1933 brennt der Reichstag. Im brennenden Parlament wird der niederländische Anarchist Marinus van der Lubbe festgenommen. Die NSDAP propagiert die Brandstiftung jedoch als Fanal eines kommunistischen Umsturzversuchs. Mit dem Reichstagsbrand verändern sich die politischen Bedingungen im Deutschen Reich schlagartig. Die nationalsozialistische Führung nutzt ihn, um die Verfolgung von Regimegegnern, vor allem Kommunisten, zu verschärfen.

Eine „Legalisierung“ erfährt diese Verfolgung durch eine von Innenminister Wilhelm Frick entworfene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, die einstimmig vom Kabinett verabschiedet und am Nachmittag des 28. Februar vom Reichspräsidenten unterzeichnet wird. Sie setzt die wesentlichen Grundrechte der Verfassung außer Kraft und geht damit über ihren angegebenen Zweck der „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ weit hinaus. Das Land befindet sich ab jetzt in einem – juristisch korrekt verhängten – Ausnahmezustand. Der verleiht den Unterdrückungsmaßnahmen gegen Oppositionelle den Schein der Legalität. Zehntausende Oppositionelle werden innerhalb der nächsten Wochen in noch von der SA improvisierte Konzentrationslager verschleppt.

Auf den Straßen terrorisiert zwar die SA Andersdenkende, die Reichstagswahl vom 5. März ist aber noch relativ frei. Deshalb ist sie die letzte Wahl im Deutschen Reich, deren Ergebnisse aussagekräftig sind. Die NSDAP profitiert bei der Wahl von der hohen Wahlbeteiligung von 88,8 Prozent und erreicht 43,9 Prozent der Stimmen. Gemessen an dem hohen Maß an Einschüchterung und propagandistischer Beeinflussung sind diese 43,9 Prozent für die NSDAP eine Enttäuschung. Sie muss mit den Deutschnationalen koalieren, die als Kampffront Schwarz-Weiß-Rot antreten und 8 Prozent der Stimmen erringen. Trotz aller Repressalien geben 12,3 Prozent der Wähler den Kommunisten ihre Stimme.

Zwei Tage nach dem von Goebbels inszenierten „Tag von Potsdam“, der feierlichen Reichstagseröffnung, stimmt der Reichstag am 23. März 1933 über ein von Hitler vorgelegtes „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ ab. Hitler fordert mit diesem „Ermächtigungsgesetz“ von den Abgeordneten die legale Zustimmung zu ihrer eigenen Entmachtung. Für die Annahme braucht das Gesetz zur Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder und zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. Diese Mehrheiten sind ihm durch die Zustimmung der beiden katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei sicher.

Artikel 1 des Gesetzes sieht die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz vom Parlament auf die Regierung vor; Artikel 2 dehnt die Vollmacht des Kabinetts auch auf Verfassungsänderungen aus, und Artikel 3 überträgt das Ausfertigungsrecht der Gesetze vom Reichspräsidenten auf den Reichskanzler. Legislative und Exekutive werden eins.

Seit März 1933 werden von der SA und der SS nach dem Vorbild Dachaus „staatliche Konzentrationslager" errichtet, in denen, wie in Oranienburg nördlich von Berlin, Gefangene misshandelt und häufig schon ermordet werden. Jeder auch nur potenzielle Hitler-Gegner muss damit rechnen, in „Schutzhaft“ genommen zu werden. Aus den ersten improvisierten „wilden“, von der SA betriebenen Lagern, entsteht nach der Übernahme der Konzentrationslager durch Himmlers „Schutzstaffel“ der „SS-Staat“.

Im Januar 1931 hat Ernst Röhm Hitlers Angebot angenommen, erneut oberster SA-Führer zu werden. Röhm baut die SA zu einer mobilisierungsstarken Massenorganisation auf. Die SS ist zu dieser Zeit noch Teil der SA. Während der Wirtschaftskrise hat die SA besonderen Zulauf von ehemaligen Frontkämpfern und Arbeitslosen, die sich mit den politischen Gegnern Saalschlachten und Straßenkämpfe liefern. Teile der SA sind vor 1933 noch revolutionär eingestellt und äußern immer wieder Kritik an Hitlers Legalitätspolitik.

Im März 1933 wird Röhm bayerischer Staatskommissar und Staatssekretär. Im Dezember 1933 erfolgt seine Berufung ins Reichskabinett als Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Seine Bemühungen, die seit Jahresbeginn von 400.000 auf viereinhalb Millionen Mitglieder angewachsene SA in einer „zweiten Revolution“ zum Kern eines neuen Volksheers zu machen, dem er auch die Reichswehr einverleiben will, bringen ihn in Rivalität zur Reichswehr.

Den schwelenden Konflikt zwischen SA und Reichswehr muss Hitler entscheiden. Röhm gibt sich zwar loyal zu Hitler, aber seine sozialrevolutionären Vorstellungen verschrecken das Bürgertum und die Eliten. Die innerparteiliche Rivalen Röhms – vor allem Heinrich Himmler, Hermann Göring, aber auch Joseph Goebbels – bestärkten Hitler in seinem Entschluss, nicht die SA-Standarten, sondern die Reichswehr zu einer modernen, möglichst schnell kriegsfähigen Armee auszubauen. Himmlers SS schürt gezielt Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch der SA.

Anlässlich einer Führertagung wird am 30. Juni 1934 die gesamte SA-Führung liquidiert. Die Gewalttaten des sogenannten „Röhm-Putsches“ werden auf Befehl Hitlers und Görings von der SS ausgeführt. In der Niederschlagung des angeblich geplanten „Röhm-Putsches“ werden von Hitler auch alte Rechnungen beglichen, denen „alte Kämpfer“ der Partei ebenso wie NS-Gegner zum Opfer fallen. Am 2. Juli verkündet Hitler offiziell das Ende der „Säuberungsaktion“. Nach Schätzungen soll sich die Zahl der Getöteten insgesamt auf 150 bis 200 Personen belaufen haben.

Die Mordaktion rechtfertigt die Reichsregierung am 2. Juli 1934 nachträglich per Gesetz als „Staatsnotstand“. Die SS, bislang formal noch der SA angegliedert, wird für ihre blutigen Dienste belohnt. Sie wird eine eigenständige Organisation im Rahmen der NSDAP. Damit hat sich Hitler die entscheidende Waffe seines Staates geschmiedet.

#10

1934 bis 1938

Der Führer


Als ich ging, musste ich an die Jungfrau von Orléans denken. Er ist eindeutig ein Mystiker. Er ist zurückhaltend in seinen Gewohnheiten und Vorgehensweisen.
William Lyon Mackenzie King
Premierminister von Kanada - Tagebuch, 29. Juni 1937




Der Führer

Wer war Hitler: Kapitel #10, 1934 bis 1938

Mit einer „Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ am 19. August 1934 nach dem Tod von Reichspräsident Hindenburg ist, was als „Machterschleichung“ begonnen hat, zu einer absoluten „Machtergreifung“ geworden. Hitler ist jetzt „Führer und Reichskanzler“. In nur 20 Monaten ist es ihm gelungen, seine bürgerlichen Bündnispartner auszumanövrieren, alle politischen Gegenkräfte auszuschalten und die Reichswehr zu neutralisieren. Schritt für Schritt hat er Deutschland in eine Führerdiktatur verwandelt. Nach der Gleichschaltung von Parteien und Verbänden, der Vereinigung des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers und der Vereidigung der Reichswehr auf ihren neuen Oberbefehlshaber vereinigt Hitler eine Machtfülle auf sich, wie seit Karl dem Großen kein Herrscher in deutschen Landen.

Die Reichsparteitage sind neben den jährlichen Traditionsmärschen zur Feldherrnhalle am 9. November und den Reichserntedankfesten auf dem Bückeberg bei Hameln die Höhepunkte der Festkultur des Nationalsozialismus. Im Laufe der Jahre wird ihr Ablauf „kanonisiert“. Die Form, äußert Hitler gegenüber Albert Speer in einer Nachbesprechung des Parteitags 1938, müsse, solange er noch lebe, „zum unabänderlichen Ritus“ werden. Die Kanonisierung des Rituals soll seine potenziellen Nachfolger mit einem von Hitler geliehenem Charisma ausstatten und zu einer Liturgie „Drittes Reich“ werden.

Hitlers Name steht Mitte der 1930er Jahre für die Leistungen und Erfolge des Regimes. Innerhalb von drei Jahren habe sein Genie, so behauptet die Propaganda und so glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, den Aufschwung der Wirtschaft, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung erreicht. Hitler habe den Versailler Vertrag außer Kraft gesetzt und Deutschland auch militärisch wieder zu einem Faktor gemacht.

Die Deutschen fühlen nach dem verlorenen Erste Weltkrieg mit dem als unfair empfundenen Versailler Friedensvertrag über die Parteigrenzen hinaus patriotisch und so neigen mehr und mehr Deutsche dazu, die angeblichen „Leistungen“ Hitlers anzuerkennen, ohne dies weiter zu hinterfragen. Hitler gewinnt damit rapide auch bei den Teilen der Bevölkerung vermehrt an Popularität, die dem Nationalsozialismus früher ablehnend oder zumindest kritisch gegenüberstanden. Die von dem Eindruck der sichtbaren Erfolge von Hitlers Politik gänzlich oder teilweise auch noch mit einer gewissen Restskepsis Beeindruckten werden im Allgemeinen zwar keine Nationalsozialisten. Insgesamt stellt sich jedoch eine weitreichende „Führergläubigkeit“ bei vermutlich 90 Prozent oder gar mehr aller Deutschen ein, die alle negativen Aspekte wie die Verfolgung von politischen Minderheiten und der Juden ausblendet. Ein Widerstand gegen Hitler oder den Nationalsozialismus ist im Prinzip nicht mehr gegeben und wird dort, wo er tatsächlich noch entflammt, mit brutaler Gewalt im Keim erstickt, ohne dass sich dagegen gewehrt werden kann.

Den ersten außenpolitischen Erfolg erzielt Adolf Hitler 1935. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Saarland, ein hochindustrialisierter Teil der preußischen Rheinprovinz, mit seinen rund 800.000 Einwohnern durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages Mandatsgebiet des Völkerbunds. Wie im Vertrag von Versailles vorgesehen, findet am 13. Januar 1935 unter Aufsicht des Völkerbunds eine Volksabstimmung statt. Zu entscheiden haben die Saarländer über die Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich, zu Frankreich oder die Beibehaltung des Status quo. Von den rund 540.000 Stimmberechtigten votieren 90,5 Prozent für Deutschland. Für den Anschluss an Frankreich sind nur 0,4 Prozent. Mindestens zwei Drittel der früheren Anhänger der beiden Linksparteien befürworten die Rückkehr zum Deutschen Reich, nach „Nazi-Deutschland“.

Am 7. März 1936 überqueren auf Befehl Hitlers 30.000 Soldaten der Wehrmacht, wie die Reichswehr seit 1935 heißt, die Rheinbrücken und besetzen das seit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg entmilitarisierte Rheinland. Mit der Besetzung der 50 Kilometer breiten Zone westlich des Rheins bricht Hitler sowohl den Versailler Vertrag als auch den Locarno-Pakt aus dem Jahr 1925. Eine französische Division hätte genügt, um den Einmarsch der Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland zu beenden. Doch wie Hitler richtig vorausgesagt hat, sind weder die Franzosen noch die Briten bereit, für die Nachkriegsordnung von Versailles in den Krieg zu ziehen. Schon am Abend des 16. März ist offensichtlich, dass der Coup ein voller Erfolg ist.

In der Republik Österreich, der 1919 von den Siegern des 1. Weltkriegs der Anschluss an das Deutsche Reich verwehrt worden war, gibt es eine starke nationalsozialistische Bewegung. Seit ihrem Putschversuch vom 25. Juli 1934 ist die NSDAP in Österreich verboten. Trotzdem agitiert sie im Untergrund weiter für einen Anschluss. Am 12. Februar 1938 zitiert Adolf Hitler den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg auf den Obersalzberg und diktiert ihm eine Vereinbarung, die das Verbot der österreichischen Nationalsozialisten aufhebt, sie an der Regierung beteiligt und der NSDAP mit dem Innenministerium die Polizeigewalt übergibt. Damit sind die Voraussetzungen für eine nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich geschaffen.

Ein Ultimatum, das mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich droht und die Übergabe der Regierungsgewalt an den Nationalsozialisten fordert, zwingt Schuschnigg am 11. März 1938 zum Rücktritt. Als der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas sich am selben Tag weigert, den Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart zum Nachfolger Schuschniggs zu ernennen, gibt Hitler den Befehl zum Einmarsch. Die Wehrmacht besetzt ganz Österreich. Das Land wird in NSDAP-Gaue geteilt und dem Deutschen Reich angeschlossen, dass sich jetzt „Großdeutsches Reich“ nennt.

#11

1934 bis 1938

Ein Biedermann


Niemand, der das nicht miterlebt hat, kann sich die tödliche Langeweile vorstellen, die während dieser Teestunden herrschte.
Baldur von Schirach
Reichsjugendführer der Hitlerjugend - „Ich glaubte an Hitler“




Ein Biedermann

Wer war Hitler: Kapitel #11, 1934 bis 1938

Adolf Hitler ist nicht ohne Familie. Seine Beziehungen zu den Verwandten sind jedoch von bewusstem Abstandhalten gekennzeichnet. Das dürfte zum einen der Vernebelung seiner Herkunft gedient haben, aber auch Teil der Stilisierung eines ohne jede Bindung rastlos für sein Volk arbeitenden Führers gewesen sein. Eine Ausnahme stellt lediglich in den Jahren 1928 bis 1935 die Beziehung zu seiner Halbschwester Angela und zu deren Töchtern Angela Maria („Geli“) und Elfriede Raubal dar. Angela Raubal hatte von Linz aus 1924 zum inhaftierten Hitler Kontakt aufgenommen und durfte ihn am 17. Juni in der Festungshaft in Landsberg besuchen. 1928 ziehen die Raubals zu Hitler auf den Obersalzberg, wo Angela dem Bruder fast sieben Jahre den Haushalt führt. Seine Nichte Geli, deren Vormund Hitler seit 1923 ist, lebt zeitweise bei Hitler in dessen Wohnung in München, wo sie sich am 18. September mit Hitlers Pistole das Leben nimmt.

Zu seinem älteren Halbbruder Alois Hitler, der ab 1934 in Berlin am Wittenbergplatz das Restaurant „Alois“ betreibt, hat Hitler keinen Kontakt.

Seine jüngere Schwester Paula trifft Hitler erstmals nach dem Verlassen von Linz 1908 in Wien im Jahr 1921 wieder und kommt in den nächsten drei Jahren noch einige Male mit ihr zusammen. Paula Hitler wird von ihrem Bruder ab dieser Zeit finanziell unterstützt. Er zwingt sie jedoch, den Familiennamen Hitler abzulegen; sie nennt sich fortan Paula Wolf.

In seinem ersten überlieferten Testament vom Mai 1938 bedenkt er seine Schwestern ebenso wie seine Freundin Eva Braun mit einer Rente, seinen Halbbruder Alois mit einem einmaligen größeren Betrag.

In den Jahren 1925 bis 1932 etabliert sich um Hitler ein fester Kreis von Männern. Sie sind nicht Familienersatz, aber doch so etwas wie ständige Begleiter. Mit gelegentlichen Veränderungen besteht die „Chauffeureska“ genannte Begleitergruppe aus den Adjutanten Wilhelm Brückner und Julius Schaub, dem späteren SS-General Sepp Dietrich als Leibwächter, dem „Pressesprecher“ Otto Dietrich, dem Fotografen Heinrich Hoffmann und dem Verlegersohn Ernst Hanfstaengl, der später für die NSDAP die Auslandspresse betreut. Wenn Hitler sich überhaupt bespricht, dann mit den Mitgliedern dieses engsten Kreises aus Adjutanten, Leibwächtern, Ordonanzen, Fahrern und langjährigen Kumpanen, die auch seiner ständigen Unterhaltung zu dienen haben.

Ob jemand in den karrierefördernden Kreis um Hitler aufgenommen wird, hängt ab 1935 auch von der Sympathie ab, die Eva Braun ihm und seiner Familien entgegenbringt. Hitler hat die damals achtzehnjährige Verkäuferin 1929 im Fotogeschäft Heinrich Hoffmanns in München kennengelernt. Ab 1930 verstärkt er den Kontakt zu der Frau, die sehr an der Beziehung zu ihm zu leiden scheint. Im November 1932 versucht Eva Braun, sich durch einen Pistolenschuss selbst zu töten, 1935 unternimmt sie einen weiteren Selbstmordversuch, diesmal mit einer Überdosis Schlafmittel. Nachdem Hitlers Halbschwester Angela Raubal 1935 aus dem Berghof auszieht, beginnt sich Eva Braun auf dem Obersalzberg einzurichten. Auch ihre Familie und ihre Freundinnen verkehren jetzt in der Umgebung Hitlers. Seine Umgebung kennt das Verhältnis der beiden, ist aber verschwiegen. Dennoch bleibt die Existenz einer Freundin des „Führers“ in der Öffentlichkeit nicht völlig unbekannt.

Hitler pflegte seinen öffentlich verkündeten spartanischen Lebensstil im Umfeld eines nicht unbeträchtlichen Luxus. Neben der Alpenresidenz auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden unterhält er seine private Wohnung in München und seine amtliche in der Berliner Reichskanzlei. 1934 wird ein anhängiges Steuerhinterziehungsverfahren wegen zu gering angegebener Einnahmen aus den Buchverkäufen von "Mein Kampf" eingestellt. Das Reichsfinanzministerium erklärt gegenüber dem Oberfinanzpräsidenten von München, dass Hitler aufgrund „seiner verfassungsrechtlichen Stellung nicht mehr steuerpflichtig“ sei. Ab dem Jahr 1934 zahlt er keine Steuern mehr.

Ab 1935 erfolgt die Abriegelung des gesamten Obersalzberges. Auf dem zum „Führerschutzgebiet“ erklärten Gelände zwingt der Hitler-Vertraute und NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann die übrigen dort ansässigen Haus- und Pensionsbesitzer zum Verkauf ihres Eigentums an die NSDAP.

#12

1938 bis 1939

Ein Brandstifter


Was nun?
Adolf Hitler
zu Joachim von Ribbentrop nach Erhalt der britischen Kriegserklärung




Ein Brandstifter

Wer war Hitler: Kapitel #12, 1938 bis 1939

Adolf Hitler strebt mit seiner Außenpolitik eine deutsche Vormachtstellung in Europa an und will das Deutsche Reich als Weltmacht etablieren. Während er öffentlich den Frieden propagiert, soll Deutschland gezielt für einen geplanten Krieg aufgerüstet und wirtschaftlich autark gemacht werden. Frühe außenpolitische Erfolge stärken das nationale Selbstbewusstsein der Deutschen und steigern Hitlers Popularität. Bereits am 3. Februar 1933 hatte der gerade eingesetzte Reichskanzler in einer Geheimrede vor den ranghöchsten Offizieren der Reichswehr die Forderung erhoben, das Deutsche Reich müsse neuen „Lebensraum im Osten“ erobern und diesen „rücksichtslos germanisieren“. Seit diesem Zeitpunkt kennen die Spitzen der Reichswehr Hitlers Ziele. Um sie umzusetzen, haben eine schnelle Aufrüstung und die Wiedererlangung der militärischen Stärke Deutschlands für Hitler höchste Priorität. Dafür geht er außenpolitische Bündnisse ein.

Nur wenige Wochen nach einem deutsch-italienischen Eingreifen in den Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der putschenden Einheiten unter General Franco spricht Benito Mussolini am 1. November 1936 in Mailand zum ersten Mal von einer „Achse Berlin – Rom“. Italien hat sich zu dieser Zeit durch seine Annexion Abessiniens international isoliert, will aber weiterhin in Nordafrika und auf dem Balkan eine aggressive Außenpolitik führen. Für die hofft es auf deutsche Unterstützung. Hitler hatte eine engere Verbindung mit dem faschistischen Italien schon lange angestrebt. Die „Achse Berlin – Rom“ meint bis 1939 eine gradlinige Annäherung beider Staaten hinsichtlich einer antikommunistischen Politik sowie die Unterstützung der jeweiligen Expansionsinteressen. Die immer stärkere Annäherung von Deutschland und Italien findet im „Stahlpakt“ vom 22. Mai 1939 ihren sichtbarsten Ausdruck. Der Pakt sieht eine enge militärische Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung im Fall eines Angriffskriegs vor.

Bereits im August 1936 hat Hitler in einer geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan erklärt, die Wehrmacht müsse in „vier Jahren einsatzfähig, die deutsche Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig sein“. Am 5. November 1937 eröffnet Hitler in einer Konferenz vor den Spitzen der Wehrmacht, der deutsche Lebensraum würde „inmitten von Europa“ liegen und mit dem Anschluss Österreichs und der „Tschechei“ an das Reich für Generationen gesichert sein. Dies wolle er bis Mitte der 1940er Jahre notfalls mit Gewalt sicherstellen.

Mit einer „Heim ins Reich“-Politik, deren erster Schritt der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ist, erzeugt Hitler ab dem Frühjahr 1938 außenpolitische Spannungen. In den Randgebieten der Tschechoslowakei zum Deutschen Reich und zur Republik Österreich leben circa 3,5 Millionen Deutschsprachige.

Im Jahr 1931 hat der Turnlehrer Konrad Henlein die „Sudetendeutsche Heimatfront“ (SHF) gegründet. 1935 erfolgt die Umbenennung der SHF in Sudetendeutsche Partei (SdP). Bei den Parlamentswahlen am 19. Mai 1935 erzielt die SdP, der viele Nationalsozialisten angehören, einen großen Erfolg und wird mit 44 Mandaten zweitstärkste Partei in der Tschechoslowakei. Sie vertritt etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung dort. Propagandaminister Joseph Goebbels initiiert eine „Heim ins Reich“-Kampagne, die unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch den Anschluss des mehrheitlich von Deutschsprachigen besiedelten „Sudetenlandes“ an das Deutsche Reich erreichen will. Gewalt und Provokationen des „Sudetendeutschen Freikorps“ verschärfen die politische Krise in der Tschechoslowakei. Hitler droht mit dem Einmarsch der Wehrmacht. Es kommt im September 1938 zur „Sudetenkrise“.

Nach Monaten der von Hitler provozierten Kriegsgefahr schließen am 30. September 1938 Großbritannien, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich das Münchener Abkommen, in dem die Abtretung des Sudetengebietes durch die Tschechoslowakei an Deutschland festgelegt wird. Hitler setzt sich vor allem dank seiner Beteuerungen durch, dies sei seine letzte territoriale Forderung. Vor allem die Regierung Großbritanniens glaubt, durch das Abkommen den Frieden in Europa gesichert zu haben. Das Münchener Abkommen, in dem alle einen Triumph Hitlers sehen, empfindet dieser selbst als Niederlage. Er hätte sich lieber mit Gewalt genommen, was er mit dem Abkommen friedlich bekommt.

Am 13. Februar 1939 teilt Hitler einigen wenigen Vertrauten mit, er beabsichtige, Mitte März gegen die Tschechen aktiv zu werden. Die deutsche Propaganda wird darauf eingestimmt. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 erfolgt die „Zerschlagung der Rest-Tschechei“. Der einrückenden Wehrmacht folgen Hitlers SS und Heydrichs Geheimpolizei. Böhmen und Mähren werden deutsches „Reichsprotektorat“, die nun völkerrechtlich souveräne Slowakei ein deutscher Satellitenstaat.

Hitlers Bruch des Münchener Abkommens zeigt den Westmächten, dass ihm nicht zu trauen ist. Sie stellen ihre Diplomatie um und garantieren die Unabhängigkeit des polnischen Staates. Hitler aber zielt darauf, auch Polen zu einem deutschen Satellitenstaat zu machen, die „Freie Stadt Danzig“ dem Reich anzugliedern und durch den sogenannten „Polnischen Korridor“, der Ostpreußen vom Reich trennt, eine exterritoriale Autobahnverbindung zu erhalten.

Am 23. Mai 1939 erklärt Hitler vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht, Polen militärisch niederwerfen zu wollen. Ende Juli 1939 legen Außenminister Ribbentrop und Staatssekretär von Weizsäcker mit Zustimmung Hitlers die Grundlagen für eine Vereinbarung mit der Sowjetunion fest, die in einem geheimen Zusatzprotokoll schon die Teilung Polens und der baltischen Staaten regelt.

Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, ein Nichtangriffsvertrag, vom 23. August 1939 ermöglicht es beiden Staaten, einen Krieg gegen Polen zu führen, ohne die jeweiligen Interessensphären des Vertragspartners zu tangieren. An Hitlers eigentlichem außenpolitischem Ziel, der Gewinnung von „Lebensraum“ im Osten, ändert das rein taktische Bündnis mit der Sowjetunion nichts. Hitler hat es jetzt eilig: Im Herbstregen glaubt er im rückständigen Polen keinen motorisierten Krieg führen zu können. Für das Königreich Italien, mit dem Deutschen Reich im „Stahlpakt“ eng verbündet, stellt der Duce Benito Mussolini in einem Brief an Hitler fest, sein Land sei „nicht kriegsfähig“.

Am 1. September 1939 beginnt Hitler mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg. Er nimmt den Kriegseintritt der Weltmächte in Kauf, da er sich nahezu unfehlbar wähnt. Zudem hat die Wehrmacht 1938 und 1939 einen Rüstungsvorsprung vor Briten und Franzosen, der aber in wenigen Jahren verspielt sein wird.

Die Deutschen folgen Adolf Hitler in den ungewollten Krieg. Ihre Motive sind unterschiedlich, sie reichen von der „Liebe“ zum Führer, über eine weniger emphatische „Treue“, den in Generationen gelebten Reflex von Befehl und Gehorsam bis hin zur Furcht vor dem Terror des Repressionsapparates aus Gestapo, gleichgeschalteter Justiz, Standgericht und KZ-Haft. Diese Gefühle und Ängste sind stärker als die Furcht vor dem Krieg.

#13

1939 bis 1941

Ein Feldherr


Dem Tode zur Weihe sind wir genug, dem Land wohl zum Verlust; den Wenigen, überlebend, viel der Ehre wär‘ gewiss.
William Shakespeare
„Heinrich der V. von England“ - St. Crispins-Tag-Rede




Ein Feldherr

Wer war Hitler: Kapitel #13, 1939 bis 1941

Seit dem Frühjahr 1939 verstärkt die deutsche Propaganda die in großen Teilen der Bevölkerung vorhandenen antipolnischen Vorurteile. In den letzten Wochen vor Kriegsbeginn berichten Zeitungen und Rundfunk fast täglich über Gewalt gegen die deutsche Minderheit in Polen. Ein Krieg gegen Polen soll als Strafaktion erscheinen.

Obwohl die polnische Staats- und Armeeführung von den deutschen Kriegsvorbereitungen unterrichtet ist, überrascht sie der Angriff in den frühen Morgenstunden des 1. September 1939. Nach einer Woche sind alle polnischen Verteidigungslinien durchbrochen und die polnische Armee ist auf dem Rückzug, wobei ihre Einheiten von den schnellen deutschen Divisionen eingekesselt werden. Mit dem Angriff von zwei Heeresgruppen der Roten Armee auf Ostpolen am 17. September ist die polnische Niederlage unvermeidbar. Entsprechend den geheimen Zusatzvereinbarungen im „Hitler-Stalin-Pakt“ rücken die sowjetischen Verbände zur Linie Narew-Weichsel-San vor. Nach dem deutschen und dem sowjetischen Überfall auf Polen und der Niederlage der polnischen Armee wird Polen als selbständiger Staat aufgelöst und zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs verändert umfassend Hitlers Herrschaftsstil. Er zieht sich mehr und mehr aus der politischen Führung zurück und geht zunehmend in der Rolle des obersten Kriegsherrn auf. Spätestens seit 1943 tritt Hitler in der Öffentlichkeit und im Rundfunk kaum noch auf. Hitler begibt sich in die selbstgewählte Isolation seines militärischen Hauptquartiers und widmet sich nahezu ausschließlich der Leitung des Krieges.

Am 3. September 1939 erklären auch die mit Großbritannien im Commonwealth verbundenen Dominions Australien und Neuseeland sowie das Indische Kaiserreich dem Deutschen Reich den Krieg, das Dominion Südafrikanische Union am 6. September, Kanada am 10. September. Trotz der am 3. September erfolgten britischen und französischen Kriegserklärungen an das Deutsche Reich ist es an der Westfront für sieben Monate relativ ruhig. Hitler lässt an der Westfront häufig nur wenig motorisierte, frisch aufgestellte und mit Reservisten aufgefüllte Divisionen aufmarschieren. Sie waren dem französischen Heer mit Sicherheit unterlegen. Briten und Franzosen kommen ihren jeweiligen Beistandspakten mit Polen nur politisch nach. Sie greifen nicht an.

Bereits zu Beginn des Krieges hat das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) aus kriegswirtschaftlichen Gründen auf eine Invasion Norwegen gedrängt. Im Wettlauf mit den Briten beginnt Deutschland am 8./9. April 1940 ohne Kriegserklärung in einer kombinierten Luft- und Seeoperation eine Invasion des neutralen Norwegens. Zeitgleich mit der deutschen Invasion in Norwegen besetzen ab dem 9. April 1940 zwei deutsche Infanteriedivisionen und eine Schützenbrigade zur Sicherung der Ostseezugänge und der Nachschubverbindungen Dänemark.

Bis zum Juni 1940 werden ca. 130.000 deutsche Soldaten nach Norwegen überführt. Im hohen Norden des Landes wird eine erbitterte Schlacht um Narvik erst Ende Mai 1940 entschieden, weil die Alliierten ihre Truppen aus Nord-Norwegen abziehen.

Den „Sitzkrieg“ im Westen beendet Hitler am 10. Mai 1940 mit einem für Briten und Franzosen überraschenden deutschen Angriff.

Die defensive französische Strategie hat Generalleutnant Erich von Manstein, dem Chef des Generalstabs der Heeresgruppe A, die Gelegenheit zur detaillierten Ausarbeitung eines verwegenen Planes gegeben. In Hitlers Kopf spukt schon lange die vage Idee, die Offensive durch einen Panzer-Vorstoß durch die Ardennen in Südbelgien ausführen zu lassen. Er wird dann auf die Vorschläge Erich von Mansteins aufmerksam. Durch das Überraschungsmoment begünstigt, gelingt es im sogenannten „Westfeldzug“ 141 deutschen Divisionen, einen an militärischer Stärke gleichwertigen Gegner in wenigen Wochen zu besiegen. Die Niederlande kapitulieren am 15. Mai 1940, Belgien ohne Abstimmung mit den Franzosen und Briten am 28. Mai.

Mit dem Vormarsch deutscher Truppen auf die französische Verteidigungslinie entlang von Somme und Aisne beginnt am 5. Juni eine zweite Phase des „Westfeldzuges“. Die Wehrmacht durchbricht die Verteidigungslinien in Nordfrankreich und schwenkt dann nach Südosten in den Rücken der Maginot-Linie ein. Die Masse der französischen Truppen wird in Ostfrankreich eingekesselt; die Maginot-Linie aus dem rückwärtigen Raum herausgenommen. Am 17. Juni unterbreitet der neue französische Ministerpräsident Henri Philippe Pétain angesichts der aussichtslosen militärischen Lage Deutschland das Angebot für einen Waffenstillstand. Dieser wird am 22. Juni 1940 im Wald von Compiègne in Anwesenheit von Adolf Hitler unterzeichnet.

Um eine geplante Invasion der britischen Insel vorzubereiten, soll ab dem 13. August 1940 zunächst die Lufthoheit über der britischen Insel errungen werden. Die Großangriffe der Luftwaffe konzentrieren sich zunächst auf britische Flottenverbände, Rüstungsindustrien, Luftabwehrstellungen und Stützpunkte der Royal Air Force in Südengland.

Nach schweren Verlusten werden die deutschen Großangriffe bei Tage Mitte September eingestellt. Am 24. August 1940 fallen die ersten Bomben aufs Londoner Stadtgebiet. Trotz zehnfacher zahlenmäßiger Überlegenheit der deutschen Bomberkräfte und sechsfach längerer Anflugstrecke veranlasst Winston Churchill umgehend die Bombardierung Berlins. Weitere britische Nachtangriffe folgen. Sie verfehlen ihre Wirkung auf Adolf Hitler nicht. Am 4. September verkündet er die Absicht, London „auszuradieren“.

Italiens Kriegserklärung an Großbritannien am 10. Juni 1940 führt zur Ausdehnung des Krieges auf Nordafrika, wo Italien aus den heute lybischen Landesteilen Tripolitanien, Cyrenaika und Fezzan eine Kolonie geformt hat. Im September 1940 beginnen italienische Streitkräfte von Libyen aus eine Offensive gegen das unter britischer Herrschaft stehende Ägypten. Eine Gegenoffensive führt die britische Achte Armee bis Anfang Februar 1941 nach El Agheila an der Großen Syrte. Der drohende Verlust seiner Kolonie veranlasst Benito Mussolini, Hitler um militärischen Beistand zu bitten. Unter Generalleutnant Erwin Rommel landet am 11. Februar 1941 ein deutsches Afrikakorps in Tripolis. Erwin Rommel beginnt Ende März mit der Rückeroberung der Cyrenaica.

Vom 8. April bis 12. April 1939 hatten italienische Truppen ohne großen Widerstand durch albanische Streitkräfte das Land, das zu dieser Zeit ein Königreich ist, besetzt. Am 16. April wird Albanien in Personalunion mit dem Königreich Italien verbunden. Im Herbst 1940 zettelt Benito Mussolini ohne Abstimmung mit seinem deutschen Verbündeten einen Krieg gegen Griechenland an. Während seit Dezember die deutschen Planungen für einen Überfall auf die Sowjetunion laufen, sieht sich Adolf Hitler gezwungen, dem italienischen Bündnispartner auch auf dem Balkan militärische Hilfe zu leisten.

Ende März 1941 entschließt sich Hitler, Jugoslawien anzugreifen, nachdem es in Belgrad zu einem Putsch gegen die deutschfreundliche Regierung gekommen war. Mit dem Balkanfeldzug, der mit der Kapitulation der jugoslawischen Armee am 17. April sowie der griechischen Armee am 21. April endet, ist Hitlers Zeitplan für den Überfall auf die Sowjetunion in Verzug geraten.

#14

1941 bis 1943

Der Beherrscher


Falls Hitler diesen Krieg gewinnt, würde wieder das Mittelalter herrschen, aber ohne durch die Barmherzigkeit Christi erleuchtet zu sein.
Paul Reynaud
Französischer Ministerpräsident




Der Beherrscher

Wer war Hitler: Kapitel #14, 1941 bis 1943

Am 21. Juni 1941, dem Vorabend des Angriffs auf die Sowjetunion, diktiert Adolf Hitler einen Brief an Italiens Diktator Benito Mussolini. Der Brief ist die offizielle Mitteilung Hitlers über seine dem Verbündeten vorher unbekannten Absichten: „Duce! Ich schreibe Ihnen diesen Brief im Augenblick, nachdem ich mich nach Monaten des sorgenvollen Überlegens und dauernden nervenzerreißenden Wartens zu der schwersten Entscheidung meines Lebens durchgerungen habe. Ich glaube, dass ich … es nicht verantworten kann, noch länger zu warten, und vor allem glaube ich, dass es keine andere Möglichkeit gibt, der Gefahr zu begegnen - es sei denn durch weiteres Warten, was aber zwangsweise in diesem oder spätestens im nächsten Jahr zum Verhängnis führen wird.“

Am 22. Juni 1941 lässt Hitler auf breiter Front zwischen der Ostsee und den Karpaten die Wehrmacht und ihren Verbündeten Rumänien den Krieg gegen die offensichtlich überraschte Sowjetunion beginnen. Im Norden greift gleichzeitig die Finnische Republik die Sowjetunion an.

Hitler lässt durch drei Heeresgruppen angreifen. Ziel der Heeresgruppe Nord ist Leningrad, das aber Anfang August 1941 aus der Bewegung heraus nicht erobert werden kann. Die Wehrmacht begnügt sich mit dem Aushungern der Zivilbevölkerung. Leningrad hält bis zu eigenen Gegenoffensiven der Roten Armee Anfang 1944 erfolgreich der Belagerung stand.

Die Heeresgruppe Mitte ist die stärkste der drei deutschen Heeresgruppen bei Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion. Während die Heeresführung Moskau als Hauptziel der Heeresgruppe favorisiert, ist Hitler die Einnahme der Hauptstadt nicht wichtig. Am 19. Juli 1941 ordnet er mit der Weisung Nr. 33 deshalb eine Schwächung der HG Mitte an.

Die Heeresgruppe Süd geht aus ihren Bereitstellungsräumen vom südlichen Polen, der Slowakei, aus Ungarn und Rumänien Richtung Dnepr und Kiew vor und beginnt nach dem Erreichen dieser Ziele einen Vormarsch ins Donezbecken. Nach der Einnahme Odessas dringen Teile im Oktober auf die Krim vor und beginnen mit der Belagerung des Schwarzmeerhafens Sewastopol. Anderen Teilen gelingt die Einnahme von Charkow und zeitweilig von Rostow am Don.

In den ersten Kriegsmonaten 1941 marschieren so mehr als 600.000 Soldaten aus den verbündeten Staaten Finnland, Italien, Kroatien, Slowakei, Rumänien und Ungarn mit der Wehrmacht nach Osten. Im Jahr 1942 wird sich ihre Zahl verdoppeln, denn dann drängt Hitler die Verbündeten zu größeren Truppenkontingenten. Er wird 1942 die Verluste der Wehrmacht nicht mehr durch Rekrutierungen im „Großdeutschen Reich“ ausgleichen können.

An der libysch-ägyptischen Grenze herrscht seit April 1941 ein Stellungskrieg. Den beenden Verbände des Commonwealth unter britischem Oberbefehl am 18. November 1941 mit einem Angriff überlegener Kräfte. Der britische Angriff wirft die in der Panzerarmee Afrika zusammen gefassten Kräfte, die unter Nachschubmangel leidet, bis Ende des Jahres 1941 auf seine Ausgangsstellung am Westrand der Cyrenaica zurück. Durch massive Angriffe der vom Mittelabschnitt der Ostfront nach Nordafrika verlegten deutschen „Luftflotte 2“ kann das Afrikakorps im Januar 1942 die Initiative zurückgewinnen. Es beginnt einen erfolgreichen Gegenangriff. Zu dieser Zeit wankt die Front vor Moskau. Die Erfolge in Nordafrika können propagandistisch genutzt werden.

Am 2. Dezember 1941 ist die Wehrmacht trotz der ungünstigen Witterung fast bis Moskau vorgestoßen. Angesichts der Kälte von bis zu minus 50 Grad Celsius und des Fehlens einer angemessenen Unterstützung, entscheidet Generaloberst Heinz Guderian, der Kommandeur der Panzergruppe 2, am Abend des 5. Dezember, seine Truppen auf Verteidigungsstellungen zurückzuziehen. Die deutsche Vierte und die Dritte Panzerarmee sind gezwungen, das gleiche zu tun. Am 5. Dezember beginnt ein sowjetischer Gegenangriff mit frischen, aus Sibirien herangeführten Truppen. Die deutsche Front wankt unter dem Ansturm von 100 sowjetische Divisionen.

Die kommandieren Generale der Wehrmacht wollen ihre Truppen zurückziehen. Das verbietet Hitler, der weiß, dass keine rückwärtigen Auffanglinien zur Verfügung stehen und fürchtet, dass die Rote Armee bis zur Reichsgrenze vorstoßen könnte. Er spricht ein kategorisches Rückzugsverbot aus. Hitlers Rückzugsverbot hat einen entscheidenden Anteil an der militärischen Leistung der Wehrmacht. Ihr gelingt es mit zu dieser Zeit zahlen- und waffenmäßig unterlegenen Truppen die Frontlinie für einige Wochen zu stabilisieren und die Kampfkraft der Wehrmacht intakt zu halten. Am 15. Januar befiehlt Hitler in Anbetracht dann doch den Rückzug auf eine leichter zu verteidigende „Winterstellung“. Die zu einem großen Teil zu Fuß zurückweichenden deutschen Truppen lassen aus Mangel an Pferden, Zugmaschinen und Treibstoff das gesamte schwere Gerät zurück.

Bis zum Angriff auf die Sowjetunion steht das Königreich Großbritannien mit seinen Commonwealth-Verbündeten allein im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Gekämpft wird in Nordafrika, auf See und in einem sich monatlich verschärfenden Bomberkrieg über dem von Deutschland beherrschten Gebieten. Großbritannien wird in seinem Kampf schon vor dem Kriegseintritt der USA offen politisch und materiell durch die amerikanische Regierung unterstützt. Die öffentliche Meinung in den USA ist allerdings bis zum Dezember 1941 gegen einen Krieg gegen Hitler-Deutschland. Unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 sichert Präsident Roosevelt auch Stalin die Rüstungsunterstützung der USA zu.

Am 7./8. Dezember 1941 greift Deutschlands Verbündeter Japan ohne Vorwarnung den US-Militärstützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii an. Mehr als 2.400 Amerikaner finden den Tod. Einen Tag später erklärt daraufhin bei einer Gegenstimme der US-Kongress dem Kaiserreich Japan den Krieg, am gleichen Tag noch Großbritannien mit seinen Commonwealth-Verbündeten.

Bis zur gleichzeitig beginnenden sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau hatte Hitler gehofft, die USA aus dem europäischen Kriegsgeschehen militärisch herauszuhalten zu können. Am 11. Dezember verkündet Hitler in einer Rede vor dem Reichstag die deutsche Kriegserklärung an die USA. Die Kriegserklärung des Königreich Italien erfolgt gleichzeitig. Die Vertreter der Regierungen Deutschlands, Italiens und Japans unterzeichnen zudem ein Abkommen, das den Regierungen separate Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen mit den USA und Großbritannien verbietet. Hitler will mit der Kriegserklärung Deutschlands demonstrieren, dass er den Kriegsverlauf bestimmt.

Am 26. April 1942 tagt ab 15.00 Uhr der nur noch Nationalsozialisten bestehende „Großdeutsche Reichstag“ zum letzten Mal. Mit Hinweis auf den Krieg und die Position Hitlers als Führer, Oberbefehlshaber, Regierungschef und oberster Gerichtsherr räumt das Scheinparlament in der Form eines Ermächtigungsgesetz Hitler einstimmig Rechte ein, die ihn über alle Gesetze stellen, auch die von ihm selbst autokratisch erlassenen.

Am 8. Juni 1942 beginnt Hitler an der Ostfront eine große Sommeroffensive. Durch die Schwächung der Wehrmacht im Winter 1941/42 beschränkt sich der Angriff auf einen 800 Kilometer breiten Frontabschnitt am Südabschnitt der Front. Hitler will die kaukasischen Ölfelder erobern, das Kaspische Meer erreichen und über den Kaukasus nach Persien vorstoßen. Schon wenige Tage nach Beginn der Sommeroffensive erreicht die Heeresgruppe Süd den Don bei Woronesh. Eine Einkesselung großer Verbände der Roten Armee wie bei den Vormärschen des Jahres 1941 misslingt.

Mit der Eroberung der Krim und dem Vordringen zum Kaukasus erreicht Hitlers Herrschaftsbereich im Spätsommer 1942 seine größte Ausdehnung. Im nördlichen Frontabschnitt der Heeresgruppe Süd führt die Sommeroffensive Ende August zum Eindringen in Stalingrad. Es gelingt der 6. Armee in erbitterten Kämpfen nicht, die sowjetischen Verteidiger aus der Stadt zu vertreiben. Statt des erhofften Triumphs entwickeln sich die Kämpfe für die 6. Armee zur Katastrophe. Eine für sie überraschende Großoffensive der Roten Armee Mitte November 1942 führt zur Einschließung der 6. Armee. Für einen erfolgreichen Entsatz verfügt die Wehrmacht über keine Reserven. Einen Ausbruch der Armee verbietet Hitler. Am 31. Januar und am 2. Februar 1943 kapituliert die deutsche 6. Armee in Stalingrad.

Am 23. Oktober 1842 gehen auch in Nordafrika bei El Alamein die Commonwealth Truppen zu einem Gegenangriff über und durchstoßen die deutsche Verteidigungslinie. Das Afrika-Korps zieht sich gegen Hitlers Befehlt nach West-Libyen zurück. Über 100.000 amerikanische und britische Soldaten bilden nach Landungen in Marokko und Algerien am 8. bzw. 9 November 1942 eine zweite Front im Rücken der deutschen und italienischen Kräfte in Nordafrika, die so in eine aussichtslose Position geraten.

#15

1939 bis 1945

Ein Massenmörder


Nicht sechs Millionen Juden wurden ermordet. Ein Jude wurde ermordet - und das ist sechs Millionen Mal geschehen.
Abel Jacob Herzberg
Niederländischer Schriftsteller und Häftling in Bergen-Belsen




Ein Massenmörder

Wer war Hitler: Kapitel #15, 1939 bis 1945

Lange fahndeten Forscher und Strafverfolger nach einem schriftlich fixierten Befehl Adolf Hitlers zur Ermordung der europäischen Juden. Ein solcher Befehl Hitlers zur „Endlösung der Judenfrage“ existiert wahrscheinlich nicht. Es besteht aber unter Wissenschaftler kein Zweifel, dass Hitler bis in Detail über die Verbrechen informiert war, sie anordnete oder als Konsequenz seiner Befehle geschehen lässt.

Aus den ersten improvisierten „wilden“, zunächst häufig noch von der SA betriebenen, Lagern entsteht nach der Übernahme der Konzentrationslager durch Himmlers „Schutzstaffel“ ab dem Sommer 1933 der „SS-Staat“. Die Konzentrationslager sind nur einen Teil des nationalsozialistischen Mordsystems, zu denen die „Heilanstalten“ mit ihrer Funktion in der Euthanasie, die Kriegsgefangenenlager, die Zwangsarbeit, der Terror der Gestapo, die Strafkompanien der Wehrmacht, die Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht, das Gefängnis- und Zuchthaussystem sowie die Einsatzgruppen von SS und Polizei gehören.

Die Konzentrationslager wären, wie es den Vorstellungen Hermann Görings entsprach, aufgelöst worden, hätte sich Adolf Hitler im Jahr 1935 nicht für ihre Erhaltung neben den Gefängnissen und Zuchthäusern der Justiz ausgesprochen. Bei einem Treffen mit Himmler bestätigt er am 20. Juni, dass die Lager noch auf Jahre hinaus benötigt werden. Bis zu den Massenverhaftungen nach der Reichspogromnacht 1938 sind nur relativ wenige Lager-Insassen aus vermeintlich rassischen Gründen inhaftiert. Selbst im großen Lager Sachsenhausen sollen es 1937 nur etwa 50 inhaftierte jüdische Männer gewesen sein. 1938 erhöhen sich diese Zahlen infolge der Pogrome vom 9. und 10. November dramatisch, da SS und Gestapo 27.000 jüdische Jungen und Männer in die Lager verschleppen.

Neueste Forschungen gehen davon aus, dass Heinrich Himmler im Herbst 1941 nach Rücksprache mit Hitler den Befehl gibt, im sog. „Generalgouvernement“ alle Juden zu ermorden, soweit sie nicht als Zwangsarbeiter eingesetzt werden können. Das Jahr 1941 mit dem Krieg gegen die Sowjetunion stellt den finalen Beginn zum ungezügelten, industriell betriebenem Massenmord dar. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion beginnen die nachrückenden „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD“ mit ihren Tötungsaktionen. Die politische Verantwortung liegt bei Hermann Göring, dem Hitler die Koordination der ‚Judenpolitik‘ übertragen hat. In den Konzentrationslagern und Vernichtungslagern findet der Massenmord an den europäischen Juden, an Sinti und Roma statt, nicht nur in den Gaskammern, teilweise auch durch Massenerschießungen, aber vor allem auch durch die für Juden besonders unmenschlich gestalteten Haftbedingungen.

Der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen ist ein weiteres immenses Verbrechen, speziell auch der deutschen Wehrmacht. Die Heeresführung nimmt das Hungersterben der sowjetischen Gefangenen ganz bewusst in Kauf. Während nur ein bis drei Prozent der angloamerikanischen Gefangenen in deutschen Lagern sterben, kommen etwa 50 Prozent der gefangenen Rotarmisten um. Von den rund 5,3 bis 5,7 Millionen Rotarmisten in deutschem Gewahrsam sterben - die Schätzungen schwanken - 2,5 bis 3,3 Millionen. „Oberster Befehlshaber der Wehrmacht“ ist seit Februar 1938 Adolf Hitler. Er trägt die direkte Hauptverantwortung für diesen Massenmord.

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 macht Himmlers SS mit Hilfe der vielen sowjetischen Kriegsgefangenen, die ihm die Wehrmacht bereitwillig überstellt, die Konzentrationslager zu einer Zwangsarbeits-Organisation, die bei der Kolonisierung des Ostens helfen soll. Die SS-Lager verschmelzen mit der Kriegswirtschaft, die hier ein Heer von Sklavenarbeitern findet.

Die Geschichte der Gaskammern beginnt in Auschwitz. Sie dienen der Ermordung zehntausender „sowjetischer Kommissare“. Als sich der Krieg gegen die Sowjetunion festläuft und keine sowjetischen Kriegsgefangenenmassen mehr ankommen, sind sie bereits erprobt. Sie dienen jetzt Ermordung der Juden, vor allem von Kindern, Müttern, Alten und Kranken. Die Nutzung der Lager für Exekutionen, sowie die tödliche Verknüpfung von Lagerhaft mit schwersten Arbeitsbedingungen, insbesondere im Bereich der Baustoffproduktion, sind Ausdruck einer in Folge des Krieges eskalierenden Gewalt. In der apokalyptischen Schlussphase der Lager kommt es bei Verlagerungen und Gewaltmärschen zu einer letzten Steigerung der Mordexzesse.

Für viele Verbrechen Adolf Hitlers existieren keine Dokumente, die seine direkte und unmittelbare Verantwortung belegen. Es war Hitlers Stil und sicher auch Instinkt, todbringende Anordnungen nicht in schriftlicher Form zu erteilen. Anders ist es bei der zentral organisierten Durchführung der als „Euthanasie“ bezeichneten Tötung von „lebensunwertem Leben“. Irgendwann Anfang Oktober 1939 unterschreibt Adolf Hitler einen auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsausbruchs, zurückdatierten „Auftrag“. Der Kriegslärm sollte wohl die Todesschreie der Opfer des Massenmordes an den Behinderten übertönen. Mit seiner Unterschrift autorisiert er Philipp Bouhler, den Chef der Kanzlei des Führers, und Hitlers jungen Begleitarzt Karl Brandt „die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“ Im Herbst 1939 ist die Tötung von Geisteskranken allerdings bereits eine Weile im Gange, da Hitler diese wohl schon zuvor mündlich autorisiert hatte. Vor allem der Bischof von Münster Clemens August von Galen findet den Mut zu einer unumwundenen Stellungnahme in der Öffentlichkeit. In seiner Predigt am 3. August 1941 gibt der Bischof bekannt, nunmehr habe er definitiv Kenntnis, dass auch aus westfälischen Pflegeheimen Todestransporte von Kranken stattfanden. Schnell verbreiten sich die Predigten von Galens im Deutschen Reich und unter den Soldaten der Wehrmacht. Bereits im Oktober kursieren in der britischen Regierung Berichte über die „die außerordentlich mutigen und offenen Predigten“ des Bischofs von Münster‘. Von Galens mutiger Protest ist auf konkrete Kritikpunkte bezogen und hat damit Erfolg. Entschieden wird der Konflikt zwischen dem Hitler-Regime dem Bischof von Münster und anderen öffentlich Kritik Vortragenden nur teilweise. Hitler stellt den größten Teil des Euthanasieprogramms für mehr als ein Jahr ein. Im Rahmen des Programms wurden bis dahin schon mehr als 70.000 Menschen ermordet. In weniger auffälliger Form kehrt das Euthanasieprogramm aber bis ganz unmittelbar vor Kriegsende in die Heil- und Pflegeanstalten zurück. Und auch die Konzentrationslager dienten der Euthanasie.

Seine Opfer lässt Adolf Hitler von der SA, der SS, der ordentlichen und der „geheimen“ Staatspolizei, den Gerichten, den Justizbehörden und der Wehrmacht mit ihren Gliederungen umbringen. Als „verbrecherische Organisationen“ werden im Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechergerichts das Korps der Politischen Leiter der NSDAP, Geheime Staatspolizei (Gestapo), der Sicherheitsdienst (SD) sowie die SS eingestuft. Die rechtlichen Folgen für die Mitglieder der verbrecherischen Organisationen sind schwerwiegend. Sie können ohne ein Einzelverfahren und ohne individuellen Schuldnachweis mit Strafen belegt werden. Nach dem 8. Mai 1945 müssen nicht viele, aber auch nicht wenige Männer am Galgen sterben, die in den zwölf Jahren von Hitlers Herrschaft die Schergen kommandiert hatten, die Millionen einen grausamen Tod brachten. Man fand sie in den Spitzen des Staates, der NSDAP und der Armee. Vor allem aber stellte die SS Adolf Hitler seine bereitwilligen Henker. Ihr Tätigkeitsfeld waren die Konzentrations- und Vernichtungslager. Der Massenmörder Hitler entzog sich im Gegensatz zu vielen seiner Gehilfen und Henker einer Verurteilung wegen Mordes durch die Gerichte durch Selbstmord.

#16

1943 bis 1944

Ein Kriegsverbrecher


Wenn die wilden Tiere ihren Gewahrsam gesprengt haben und unters Volk gelaufen sind, muss eben jeder, der einen starken Arm hat, nach der Waffe greifen.
Hans Scholl
Student und Widerstandskämpfer




Ein Kriegsverbrecher

Wer war Hitler: Kapitel #16, 1943 bis 1944

Am 18. Februar 1943 proklamiert Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast von 3.000 ausgesuchten Zuhörern den „Totalen Krieg“. Einen Monat zuvor befahl Adolf Hitler, sämtliche personellen und materiellen Ressourcen im Deutschen Reich und den besetzten Territorien für den „Endsieg“ freizusetzen. Alle Männer zwischen 16 und 65 sowie Frauen zwischen 17 und 45 Jahren können jetzt zur Reichsverteidigung herangezogen werden. Mit der Erweiterung der Wehrpflicht ab August 1943 werden Jungen unter 18 Jahren in die Wehrmacht eingezogen. Mit der Mobilisierung der letzten Reserven in der Heimat geht eine Verschärfung des Terrors und des Kriegsstrafrechts einher. Die Zahl der Todesurteile wegen Defätismus oder Wehrkraftzersetzung erhöht sich sprunghaft.

Als Antwort auf die alliierte Landung in Nordafrika hat die deutsche Wehrmacht schon am 11. November 1942 die Südzone Frankreichs besetzt. Judenverfolgung, Zwangsrekrutierung französischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft und zunehmender Terror der Deutschen gegenüber der Bevölkerung verstärken jetzt in Frankreich den Zulauf zur Résistance.

Nach der Kapitulation der letzten deutschen und italienischen Truppen in Nordafrika und die Eroberung Siziliens durch die Alliierten landen sie am 3. September 1943 im Golf von Tarent auf dem italienischen Festland, am 9. September bei Salerno. Italien schließt einen Waffenstillstand. Die deutschen Truppen in Italien entwaffnen ihre ehemaligen Verbündeten.

Am 25. August 1940 greift erstmals die britische Royal Air Force (RAF) Berlin an. Von den 81 ausgesandten Bombern können viele das Ziel nicht finden. Es werden nur leichte Schäden in der Innenstadt und in den Außenbezirken Reinickendorf, Pankow und Lichtenberg registriert. In derselben Nacht bombardiert die RAF auch Köln, Hamm und das italienische Bologna. Ende Mai 1942 fliegt die Royal Air Force mit 1.046 Bombern gegen Köln den ersten Angriff des Krieges mit mehr als 1.000 Bombern. Der Bombardierung Hamburgs durch über 2.200 britische Maschinen im Juli 1943 fallen über 30.000 Menschen zum Opfer. Berlin ist ab November 1943 massiven Luftangriffen ausgesetzt. Ab 1943 fliegen amerikanische Langstreckenbomber auch am Tage Angriffe auf deutsche Städte. Die Royal Airforce bleibt bei ihren nächtlichen Flächenbombardements. Ab März 1944 haben die Alliierten die uneingeschränkte Luftherrschaft über Deutschland.

Auf einer Konferenz in Washington im Mai 1943 einigen sich der britische Premier Winston Churchill und der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt auf eine Invasion in Frankreich im Frühjahr 1944. Vom 28. November bis zum 1. Dezember 1943 kommt es zum ersten Gipfeltreffen von Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Joseph Stalin in der persischen Hauptstadt Teheran. Stalin fordert auf der Konferenz eine „Zweite Front“ zur Entlastung seines Landes. Die Kämpfe in Italien lässt er als Front nicht gelten. Die Alliierten beschließen daher eine Invasion von amerikanischen und britischen Truppen in Nordfrankreich im Mai 1944. Die „Großen Drei“ einigen sich auch darauf, einen Wiederaufstieg Deutschlands zur politischen und militärischen Macht für alle Zukunft zu verhindern.

Die Alliierten nutzen das Jahr 1943, um starke Truppenkontingente aus den USA und Kanada nach Großbritannien zu überführen und eine Armada für eine Invasion zusammenzuziehen. Durch eine große Landung in der von Hitler deklarierten „Festung Europa“ wollen sie den schnellen militärischen Zusammenbruch Deutschlands herbeiführen. Hitler sehnt die Landung förmlich herbei. Er hofft, nach einer erfolgreichen Abwehr der Invasion die freigewordenen Truppen an die Ostfront werfen zu können.

Mit über 3.100 Landungsbooten setzt in der Nacht zum 6. Juni 1944 die erste Welle der Invasionsarmee von Großbritannien nach Frankreich über. Unter dem Feuerschutz von 1.200 Kriegsschiffen und 7.500 Flugzeugen landen rund 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen sowie Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige an fünf verschiedenen Stränden der Normandie. Gleichzeitig bringen Fallschirmjäger und Luftlandetruppen wichtige strategische Punkte im Hinterland unter ihre Kontrolle. Am 31. Juli durchstoßen die Amerikaner die deutsche Front bei Avranches. Den Alliierten steht Frankreichs Norden für einen weiträumigen Bewegungskrieg offen.

Im Juni 1944 verfügt die deutsche Heeresgruppe Mitte an der Ostfront nur noch über 40 Divisionen mit rund 500.000 Soldaten. Sie hat mit diesen schwachen Kräften einen 1.000 Kilometer langen Frontbogen um Witebsk, Orscha, Mogilew und Bobruisk zu verteidigen. Eine Begradigung der Front zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit verbietet Hitler. Zwei Wochen nach der alliierten Invasion in Frankreich beginnt die Rote Armee am 22. Juni 1944 mit 1,2 Millionen Soldaten und 4.000 Panzern eine Großoffensive gegen die Heeresgruppe. Innerhalb weniger Tage dringt sie über 300 Kilometer nach Westen vor und kesselt dabei die deutsche 4. und 9. Armee sowie die 3. Panzerarmee ein. Am 3. Juli erobert sie Minsk, zehn Tage später Wilna. Rund 350.000 deutsche Soldaten fallen innerhalb von vier Wochen oder geraten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als es der Wehrmacht Ende Juli gelingt, auf der Linie Kaunas–Brest-Litowsk den Vormarsch mit improvisierten Verbänden kurzzeitig aufzuhalten, hat die Heeresgruppe Mitte praktisch aufgehört zu existieren. Die Rote Armee nähert sich in den nächsten Wochen der Reichsgrenze und Warschau.

Der gescheiterte Staatsstreich vom 20. Juli 1944 ist der erfolgversprechendste und sichtbarste Versuch, die Herrschaft Hitlers zu beenden. Seine Initiatoren, die Offiziere Friedrich Olbricht, Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, stützen sich auf Widerstandskreise, die von ehemals sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Führern über nationalkonservative Eliten bis in Kreise der NSDAP und der SS reichen.

Nach dem Scheitern des Putsches nimmt die Geheime Staatspolizei Tausende von Menschen fest. Etwa 5.000 tatsächliche und angebliche Verschwörer werden bis Kriegsende hingerichtet oder sterben infolge der Haftbedingungen.

Zwischen dem 25. August und dem 3. September haben die Alliierten im Westen auf breiter Front von Paris bis Mons und Verdun bereits 200 Kilometer und in einem Abschnitt noch schnelleren Vormarsches bis Brüssel fast 300 Kilometer an Gelände gewonnen. Die weichenden deutschen Einheiten befinden sich in Auflösung. Bis Mitte September kommt es zu einer fast panikartigen Rückverlegung der deutschen Truppen bis zum Westwall, der als neue Verteidigungslinie gehalten werden soll.

Bereits seit dem Spätsommer 1944 hat Hitler von der Wehrmachtsführung Pläne für eine entlastende Gegenoffensive im Westen erarbeiten lassen. Wie beim deutschen Vorstoß durch die Ardennen im Mai 1940 soll der Angriffsschwerpunkt von der dicht bewaldeten Eifel ausgehen. In den Ardennen werden nur relativ schwache amerikanische Truppenkontingente vermutet. Bis Mitte Dezember 1944 bringt die Wehrmacht in der Eifel zum Teil von der Ostfront abgezogene kampfkräftige Divisionen in Stellung, die noch über rund 600 Panzer verfügen. Den mehr als 200.000 deutschen Soldaten stehen in diesem Frontabschnitt kaum 80.000 amerikanische gegenüber. Der deutsche Angriff am Morgen des 16. Dezember 1944 kommt für diese vollkommen überraschend.

Die Verlegung neuer amerikanischer Truppen in die Ardennen und mangelnder deutscher Nachschub lassen die Ardennen-Offensive aber nach nur wenigen Tagen scheitern. Am 27. Dezember muss die Wehrmacht an allen Frontabschnitten zur Verteidigung übergehen. Bis zum 16. Januar 1945 verliert sie das eroberte Gelände wieder. Hitler gesteht einigen Vertrauten, dass der Krieg verloren ist.

#17

1945

Ein Selbstmörder


Ich würde alle Deutschen als schuldig betrachten, die nicht mindestens für fünf Monate in einem Konzentrationslager saßen.
Stanley High
Redakteur von „Reader‘s Digest” - im Juni 1945 in der NBC-Sendung „Town Meeting of the Air“




Ein Selbstmörder

Wer war Hitler: Kapitel #17, 1945

Hitlers Armee stehen zu Jahresbeginn 1945 noch tief im Feindesland. Sie halten Warschau und das eingeschlossene Kurland besetzt. Die Wehrmacht zieht sich durch die Romagna und Oberitalien langsam auf die Alpen zurück. Sie hält noch Budapest und den Westen Ungarns, Tschechien und die Slowakei. Auf dem Balkan sind die deutschen Divisionen, von Partisanen und den Sowjets bedrängt, Richtung Österreich auf dem Rückzug. Im Nordwesten des Kontinents ist der Großteil der Niederlande noch deutsches Besatzungsgebiet und im Norden ganz Dänemark und Norwegen. In Ostpreußen steht die Rote Armee aber schon in einem schmalen Streifen auf reichsdeutschem Territorium, ebenso Amerikaner und Briten links des Rheins.

Die Führer der alliierten Anti-Hitler-Koalition sind zu Beginn des Jahres 1945 siegesgewiss, aber auch enttäuscht, dass sie nicht schon vor Weihnachten 1944 den Sieg erringen konnten. General Dwight D. Eisenhower, der alliierte Oberkommandierende in Europa, hatte während des Italien-Feldzugs 1943 mit dem britischen Feldmarschall Bernard Montgomery um fünf Pfund gewettet, dass Deutschland im Dezember 1944 kapitulieren werde; Montgomery hatte auf das Frühjahr gesetzt. Die Wette wurde auf einer aus einem Notizblock gerissenen Seite notiert und von beiden unterzeichnet: „Vereinbarung zwischen den Generälen Eisenhower und Montgomery, Betrag £5 – General E wettet Krieg mit Deutschland wird bis Weihnacht 1944 zu Ende sein. Lokalzeit.“

Josef Stalin geht Anfang 1945 noch davon aus, dass der Krieg nicht vor dem Sommer endet. Er erwartet den Zusammenbruch Deutschlands als Folge einer Hungersnot, sobald seine Armeen die deutschen Kornkammern im Osten erobert haben. Gegen den Rat von Generaloberst Heinz Guderian, Chef des Generalstabes des Oberkommandos der Wehrmacht, unter Abbruch der Ardennenoffensive alle verfügbaren Kräfte von der Westfront an die Weichsel zu verlegen, hat Adolf Hitler Ende Dezember 1944 sogar Truppen aus dem noch besetzten Polen nach Ungarn in Marsch setzen lassen. Er will das von der Roten Armee eingeschlossene Budapest entsetzen und die ungarischen Ölfelder verteidigen. Am 9. Januar unternimmt Guderian eine Reise in Hitlers Hauptquartier im hessischen Ziegenberg, um anhand von Diagrammen und grafischen Darstellungen die Kräfteverhältnisse an der Weichselfront vorzuführen. Hitler zu diesem vom Militärgeheimdienst erstellten Material: „Das ist ja völlig idiotisch, wer hat das angefertigt? … Der Mann gehört ins Irrenhaus.“

In den letzten vier Kriegsmonaten werden 471.000 Tonnen Bomben auf Deutschland abgeworfen, das ist doppelt so viel wie im gesamten Jahr 1943. Allein im März gehen fast dreimal so viele Bomben nieder wie im ganzen Jahr 1942.

Die Rote Armee tritt auch nicht, wie von Hitler erwartet, in Ungarn, sondern am 12. Januar 1945 von ihren Brückenköpfen an der Weichsel aus zur Winteroffensive an. Die 1. Weißrussische Front unter Georgij Schukow überrollt die deutschen Verteidigungslinien im Raum Warschau. Am 17. Januar besetzt sie die geräumte polnische Hauptstadt. Ende Januar 1945 steht sie schon entlang der Oder von Küstrin bis Guben knapp achtzig Kilometer vor Berlin. Die 1. Weißrussische Front errichtet am Westufer der Oder bei Küstrin und Frankfurt/Oder zwei Brückenköpfe.

Anfang Februar 1945 haben sich die letzten deutschen Einheiten aus Belgien zurückgezogen. Am 23. Februar beginnt unter britischem Kommando an der Westfront eine Offensive, die die Wehrmacht auf das rechte Ufer des Niederrheins zurückdrängte. Als Oberbefehlshaber in Europa stoppt General Dwight D. Eisenhower Anfang März den jetzt beginnenden Vormarsch der alliierten Truppen in Richtung Berlin. Er will die Eroberung Berlins der Roten Armee überlassen.

Am 5. März 1945 beruft die Wehrmacht alle Jungen des Jahrgangs 1929 zum Kriegsdienst ein.

Zwei Tage später kann durch einen schnellen Vormarsch eine kleine Vorausabteilung der 9. US-Panzerdivision bei Remagen in der Nähe von Bonn eine unzerstörte Eisenbahnbrücke erobern und über den Rhein setzen. Das linksrheinische Köln wird am gleichen Tag von den Amerikanern besetzt.

Während es den englischen und amerikanischen Truppen auf Hamburg, Magdeburg, Leipzig und München vorrücken, bringen die Sowjets rund 2,5 Millionen Soldaten für den Angriff auf Berlin in Stellung. Ihnen gegenüber stehen rund eine Million deutsche Soldaten, die sich aus Resten von Wehrmachtsdivisionen, Verbänden der Waffen-SS sowie aus improvisierten Verbänden von Polizei, Volkssturm und Hitlerjugend zusammensetzen. Am 16. April 1945 beginnt die Rote Armee mit einem Zangenangriff die Schlacht. Die 1. Ukrainische Front überrollt die deutschen Verteidigungsstellungen an der Lausitzer Neiße südlich von Berlin. Die 1. Weißrussische Front umgeht nach verlustreichen Durchbruchskämpfen auf den Seelower Höhen die Stadt im Norden. Rund zwei Millionen im zerstörten Berlin verbliebene und von täglichen Luft- und Artillerieangriffen zermürbte Einwohner suchen während der Kämpfe in Kellern und Bunkern Schutz.

In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945 bittet Walter Hewel, Verbindungsbeamter der Auswärtigen Amtes im Führerhauptquartier, Hitler um Befehle für seinen Minister Joachim von Ribbentrop. „Mein Führer, es ist fünf Sekunden vor zwölf. Wenn Sie mit Politik noch irgendetwas erreichen wollen, dann ist es allerhöchste Zeit.“ „Politik?“ fragt Hitler. „Ich mache keine Politik mehr. Das widert mich so an. Wenn ich tot bin, werdet Ihr noch genug Politik machen müssen.“

Nur in zähen und verlustreichen Straßenkämpfen gelingt es den Sowjets, in das Zentrum der Stadt vorzustoßen. Am 30. April hissen Rotarmisten auf der Spitze des Reichstags die rote Fahne mit Hammer und Sichel.

Hitler hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, durch Selbstmord aus dem Leben zu scheiden. Am 29. April heiratet er seine langjährige Geliebte Eva Braun, die mit ihn in den Tod geht. Er verfasst ein persönliches und ein politisches Testament, stößt dabei Göring und Himmler aus der NSASDP aus und enthebt sie allen Ämtern und bestimmt Karl Dönitz als Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber und Joseph Göbbels als Reichskanzler zu seinen Nachfolgern. Schließlich erschießt er sich am Nachmittag des 30. Aprils im Bunker der Reichskanzlei. Eva Braun vergiftet sich mit Zyankali. Die Leichen werden vor dem Bunker in einem Erdloch verbrannt und anschließend vergraben. Die Überreste werden von den Russen wenig später exhumiert. Anhand des Kiefers und eines Abgleichs mit dem Zahnstatus wird die Leiche als die von Adolf Hitler identifiziert. Was mit der Leiche Hitlers passiert ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Angeblich sollen sich der Kiefer und Schädelteile im russischen Staatsarchiv befinden und die restliche Leiche soll nach mehreren Umbettung 1970 endgültig eingeäschert und die Asche an einem bis heute unbekannten Ort verstreut worden sein, damit es keine Grabstelle gibt. Die Russen behalten ab Mai 1945 nicht nur ihr Wissen für sich, sondern betreiben bewusst Desinformation und nähren so stetig Zweifel, ob Hitler wirklich tot sei und bieten so Verschwörungstheorien Raum, dass Hitler noch lebe und entkommen sei. Die offizielle Todesfeststellung erfolgt in Deutschland erst am 25. Oktober 1956 durch das Amtsgericht Berchtesgaden, nachdem die letzten Augenzeugen aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekommen waren und vernommen werden konnten. Erst Anfang der 1960er Jahre erklären die Russen, dass sie Hitler mit Sicherheit für tot halten und geben teilweise Details preis.

Am 3. Mai 1945 besetzen britische Einheiten das zur „offenen Stadt“ erklärte Hamburg. In Dänemark, den Niederlanden und Nordwestdeutschland kapituliert die deutsche Wehrmacht einen Tag später. Am Brenner-Pass treffen amerikanische Armeen aufeinander, die in Sizilien und in der Normandie gelandet sind. Am 5. Mai wird als letztes großes Konzentrationslager Mauthausen in Österreich von den Amerikanern befreit.

Nachdem am 7. Mai 1945 in Reims mit einer ersten Unterschrift die deutsche Kapitulation für den 8. Mai 1945 24.00 Uhr unterzeichnet worden war, besteht die Sowjetunion auf einer weiteren Zeremonie in der Reichshauptstadt Berlin. Generalfeldmarschall Keitel, Generaladmiral von Friedeburg und Generaloberst Stumpff werden mit britischen Militärmaschinen von Flensburg nach Berlin-Tempelhof geflogen, um im Offizierskasino der Wehrmachts-Pionierschule Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation zu paraphieren. Die Unterschriften nehmen Marschall Schukow als sowjetischer Oberkommandierender und der britische Air-Marschall und Stellvertreter Eisenhowers, Sir Arthur Tedder, für das westliche Hauptquartier, als Zeugen der amerikanische General Spaatz und der französische General de Lattre de Tassigny entgegen. Die Unterzeichnung beendet den Krieg in Europa.

In Fernost wird dagegen seitens der Japaner noch gekämpft. Erst nach den beiden Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki im August endet der von Hitler angezettelte 2. Weltkrieg mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 – mit geschätzten 65 Millionen toten Soldaten und Zivilisten sowie 6 Millionen ermordeten Juden.